Loges, Gabriele: Wortfugen und Innenräume

Autor: 

Gabriele Loges

Wortfugen und lnnenräume


Texte und Bilder.

Imre Török schreibt zum Buch:
Wortfugen - die können wie Musik dahin fliegen, vielstimmig, flüchtig. Und als Fügung, Zwischenraum, Überbrückung verstanden werden. In der Sprache, als Bild. Tatsächlich bieten Gedichte, Prosa und Bilder im Buch von Gabriele Loges eine vielstimmige Einheit, ein abwechslungsreiches Leseerlebnis. Wortgebauter Bogen, bild- und phantasievoll. Aus Kindertagen, aus Kaiserzeit. Vom Berner Oberland bis ins ferne Birma. Geschichten, die locken, verknüpfen, bauen - Brücken, kunstvoll, einfühlsam spannt Gabriele Loges die Bögen zwischen Du und Ich, zwischen Einzelschicksalen und den Augen der Leser. Spürt die Autorin diese Augen dicht hinter sich, geht sie schnell weiter. Gibt ganz den Blick frei."


Leseprobe:


Versuch einer Annäherung

Als Amalie Zephyrine von Sigmaringen-Hohenzollern bist du in die Geschichte eingegangen. Ich versuche heute, mir dein Leben vorzustellen. Das Leben einer Frau zwischen den historischen Daten und unabhängig davon. Uns trennen zweihundert Jahre. Und doch spüre ich deine Nähe.
1760 geboren, als deutsche Adlige in Paris:
Du warst die jüngste Tochter deiner Eltern, du hast die gefährlichen Kinderkrankheiten, an denen zwei deiner Geschwister gestorben sind, überstanden. Du hast dich der Heiratspolitik deiner Familie unterworfen. Du hast den ge-wünschten Stammhalter geboren, aber dann hast du deinen eigenen Weg gesucht und gefunden.
Du warst fremdbestimmt, wie wir heute sagen würden. In deinen Mädchenträumen schwebte dir ein anderes Leben vor. Du wolltest diesem Traumbild blind folgen. Als sich jedoch Traum und Wirklichkeit nicht verbinden ließen, hast du dein Leben neu gestaltet - mit wachen Augen. Du hast dich frei gemacht.
Die Liebe machte dir allerdings einen Strich durch die Rechnung. Denn so, wie die fehlende Liebe zu deinem Mann dich von seinem Heimatort flüchten ließ, so zog dich die Liebe zu deinem Sohn Karl wieder zurück. Ihn musstest du damals bei seinem Vater zurücklassen, und es fiel dir schwer. Der einzigartige Duft des Neugeborenen haftete in deiner Erinnerung. Du wusstest jedoch, seinen Erben hätte der Fürst vom Ende der Welt wieder zu sich geholt. Nachdem du in Männerkleidung und mit Hilfe deines Bruders geflohen warst, legte dein Mann die Verbindung zu dir auf Eis.
Dem Weg, geradlinig wegführend aus der Provinz in das überschäumende Paris, wurde für dich zum Rundweg. Du bist nach ereignisreichen Jahren wieder an den Ausgangspunkt deiner Flucht zurückgekehrt, freiwillig. Orte waren dir auf einmal nicht mehr so wichtig. Wichtig war das Zusammenleben mit ihm, deinem Sohn. Was dir früher gesellschaftliche Ereignisse und Orte bedeuteten, konnten dir in deinem späteren Leben fast nur Mitmenschen sein. Damit du Karl wiedersehen konntest, hast du deine Beziehungen in Paris genutzt. Du warst die Freundin von Joséphine. Später heiratete diese Napoléon. Da er die Geschicke Europas in den Händen hielt, entschied seine Gunst auch über das Schicksal des Fürstentums deines Mannes. Dein Mann wollte sein Land behalten, du wolltest in der Nähe deines Sohnes sein. Langwierige Verhandlungen führten schließlich zum Ziel. Das Fürstentum Hohenzollern durfte dank Napoléon selbstständig bleiben. Und du konntest deinen Sohn zu dir nach Paris holen und ihn später wieder nach Sigmaringen begleiten. Dein Mann war bei deiner Rückkehr verreist, die Menschenmenge jubelte dir zu.
Immer schon hattest du eine besondere Anziehungskraft auf Menschen. Du hast starke Verbindungen geknüpft. An dir haben Menschen "angelegt", mal warst du Hafen, mal Schiff. Irgendwann hast du gespürt, dass die Verbindungen zu Menschen, die du liebst, unauflöslich und gewichtig sind.
Irgendwann hast du auch deine Bindungen akzeptiert und warst von diesem Augenblick an ganz neu frei. Ich bin sicher, du hast Rousseau gelesen. Er sagte: ,,Der Mensch ist frei geboren, und überall liegt er in Ketten." Und was machst du daraus? Zuerst streifst du dir lästige Ketten ab und später interpretierst du dein Leben neu: Der Mensch liegt in Ketten, aber dies ist gerade das, was ihn glücklich machen kann.
An deinen Bruder Friedrich hast du dich freiwillig gekettet. Die Französische Revolution und mit ihr das fallende Beil der Guillotine zerschlug die Kette. Die Suche nach ihm war schrecklich. Du wolltest deinen getöteten Bruder unbedingt finden. Niemand konnte dir sagen, wo die Köpfe, wo die Körper lagen. Wie von Sinnen bist du durch Paris gerannt. Später nannte man dir einen Platz, dort sollten sie mit anderen zusammenliegen: dein Bruder Friedrich und Jo-séphines geschiedener Mann Alexandre. Seltsam, er war dein Liebhaber in leichteren Tagen, aber an diesem Tag bedeutete er dir nichts mehr. Friedrich jedoch, der dir die Flucht von deinem ungeliebten Mann ermöglichte, mit dem du zusammenleben konntest, der dich ohne Worte ver-stand, fehlte dir unendlich. Du hast ihm am Massengrab in Paris eine Gedenktafel aufgestellt.
Und später, als du längst wieder in Deutschland lebtest, konntest du im Kopf deinen Bruder in das kleine Inzigkofen bei Sigmaringen mitbringen. In einem von dir im englischen Stil angelegten Park wolltest du einen Ort für deine Trauer schaffen und hast für ihn ein Denkmal aus Stein hauen lassen. Du hast sein Todesdatum darauf einmeißeln lassen und dich vertan. Es war nicht wichtig. Zeiten sind nicht so wichtig.


Angriffs-Lust

Angriffsbereit
verteidigt
die wuchernde Hecke
mit spitzen Dornen
die blauschwarze
Beere -

die ich
genüsslich
vertilge.

Luftschuhe

Hände

Ein Spaziergang mit meinem Vater. Hand in Hand das Tal hoch. Zwei Kilometer, dann Überqueren der Straße im gotischen Spitzbogen. Erzählen, reden, nachfragen. Wie war es früher in seiner Kindheit? Heimgehen.
Seine Hand bleibt ewig in der meinen. Der Druck, die Nähe, das Glück, ihn für die Länge eines Spazierganges für mich alleine zu haben. Sie bleibt, auch wenn Gesicht und Körper längst blasser werden.




Schrittfolge

Unbeholfen
mit ihm,
dem Kopffreund,
die ersten Schritte
vom Kind zur Frau
wagen.

Mit leichtfüßigem Schritt
fallen
und das gelenkige Knie
aufschlagen.

Vechta-Langförden, Geest-Verlag, 2002³
Mit Fotos der Autorin
ISBN 3-936389-04-7
9,40 Euro