Metzen-Kabbe, Christine: Die Geschichte der Stadt Zor. Band 2: Der Feind des Mantis von Zor

Autor: 

 

Christine Metzen-Kabbe

Die Geschichte der Stadt Zor

Bd.2: Der Feind des Mantis von Zor

Geest-Verlag 2016

ISBN 978-3-86685-565-6

ca.380 S., 14,80 Euro

 

Nach dem überaus erfolgreichen ersten Teil der Geschichte der Stadt Zor, die von Schülern sogar als Theaterstück umgessetzt wurde, hat Christine Metzen-Kabbe die Fortsetzung der Geschichte geschrieben, die sich nun im Endlektorat befindet.

Hier ein Ausschnitt aus dem Beginn des Geschehens:

Die Bibliothek des Mantis von Zor, oder – wie Philo von Kusch sie im Stillen immer noch ehrfurchtsvoll nannte – „die Bibliothek Pamirs“, befand sich in ersten Stock des Hauses mit dem halbkugeligen Dach und dem silbernen Dyodekagramm über der Tür. Vor seinem Einzug war er nur ein einziges Mal dort gewesen, und damals waren die großen Doppeltüren der Bibliothek versiegelt gewesen. Genau über dem Türgriff mit dem Schloss war das Siegel des Mantis von Zor angebracht gewesen, das silberne Dyodekagramm mit dem Haupt des Löwen. Seinen aufmerksamen Augen war es nicht verborgen geblieben, dass sich darunter, gut verdeckt durch das große silberne Siegel des Mantis, ein weiteres Siegel verbarg, kleiner, zierlicher, ein Wier-Siegel in der Form verschlungener Aurikula. Er hatte es gesehen, er hatte die Bedeutung dieser zwei Siegel übereinander erkannt – und er hatte geschwiegen. Wie ein drittes Siegel, so hatte sein Schweigen die Bibliothek Pamirs geschützt.
Als er nun, gemeinsam mit seiner jungen Frau Silvana, an dem Tag, an dem er als der neue Herr des Hauses die Bibliothek ein erstes Mal betrat, auf die großen, hölzernen Doppeltüren zuging und die silbernen Dyodekagramme auf den Türen zur Bibliothek und zum Laboratorium sah, erinnerte er sich wieder an seinen ersten Besuch im Haus des Mantis von Zor. Lächelnd blickte er nun Silvana an und meinte behutsam zu ihr: „Es ist gekommen, wie ich es gehofft habe: nun kann ich diese Türen selbst öffnen – gemeinsam mit dir, meine liebe Silvana.“
Sie wurde vor Verlegenheit unter seinem Blick und unter seinem Lächeln rot, nickte dann jedoch ent-schieden und antwortete dem Mantis, der an diesem Tag kein Fremder mehr war, sondern der neue Herr des Hauses, der Herr der Bibliothek und ihr Mann: „Ja, Philo, lass uns heute diese Siegel über der Tür gemeinsam entfernen.“
Endlich öffneten sich ihm die großen Doppeltüren! Ehrfürchtig betrat Philo, der neue Mantis der Stadt Zor, die Bibliothek Pamirs, die nun seine war. Helles, klares Licht flutete ihm entgegen, Nordlicht. Es schien durch die vier hohen Fenster, die der Eingangstür gegenüber lagen, erhellte den gesamten Raum vor ihm und sorgte dafür, dass die kostbaren Bücher und die wertvollen Folianten dieser Bibliothek nicht geschädigt wurden, der Herr der Bibliothek aber ausreichend helles und klares Licht zum Lesen hatte.
Die Bibliothek des Mantis von Zor, voller Staunen musste er sich wieder bewusst machen, dass es nun ‚seine‘ war, erstreckte sich über die gesamte Nordseite des Hauses. Jeder seiner Vorgänger hatte diese Bibliothek nach seinen eigenen Spezialgebieten erweitert und aufgestockt. ‚Das,‘ so dachte er ehrfürchtig, ‚wird nun auch meine Aufgabe sein.‘ Die Wände des Raumes waren von der Decke bis ungefähr einen knappen Meter über den Boden mit kunstvoll gearbeiteten, hohen Bücherregalen aus Walnussholz verkleidet. Unter den Bücheregalen befanden sich verschlossene Schrankteile mit Griffen aus polierter Bronze. Diese Aufteilung von offenen Bücherregalen mit den in Leder gebundenen Werken der Bibliothek und den geschlossenen Schrankteilen verlief rings um alle Wände. Lediglich die Eingangstür zur Bibliothek und die Fenster in der nördlichen Außenwand waren ausgespart, aber ebenfalls aus Walnussholz gearbeitet. Die Farbe dieses edlen Holzes, ein helles Graubraun mit einer dunkleren, faserigen Maserung, gab dem Raum eine ehrwürdige und gleichzeitig auch sehr gemütliche Atmosphäre. In der Mitte der Bibliothek stand ein großer, ausladender Schreibtisch mit einem kostbaren, mit Leder gepolsterten Schreibtischstuhl