Andrej Peters -Weiße Rose

Weiße Rose
Für Reiner Maria Rilke


Der Dichter passierte den Platz
Immer wieder in seiner Begleitung


Eine Bettlerin bat um Almosen
In sich gekrümmt und verschämt


Ein Geldstück rührte sie nicht, keine
Regung durchfuhr ihren Körper


Die Begleiterin fragte den Dichter
Warum er wohl ihr nichts gebe


„Wir müssen dem Herzen geben
Und nicht einer Hand“, so die Antwort


Dann kaufte er ihr auf dem Markte
Die Rose die weiß aufgeblühte


Und legte sie in die Hand, die
Bettlerin erbebte räusperte


Tastete nach der gebenden Hand
Küsste sie küsste und eilte davon


Eine Woche verstrich hienieden
Die Alte war wie verschwunden


Nach acht Tagen das gewohnte Bild
Unbewegt und stumm wie vorher


Saß sie da in sich gekrümmt verschämt
„Wovon lebte sie denn die acht Tage?“


Die Begleiterin wollte es wissen
„Von der Rose!“ sagte der Dichter


Und ging über den Platz in Paris


Kann eine Rose den Tag retten? Kann man von einer Rose leben, überleben acht
Tage? Kann ein Gedicht den Tag retten. Es kann. Ein Gedicht von Rilke. Denn „Gott
spricht zu jedem nur, eh er ihn macht“; aber wer versteht „diese wolkigen Worte“
eines Dichters?
Gib dem Bettler in Salzburg eine Rose und ein Gedicht in seiner Sprache. Anstelle
von Cent. Und der erlebt vielleicht dasselbe wie im Gedicht „Herbsttag“: „Wer jetzt
kein Haus hat, baut sich keines mehr.//Wer jetzt allein ist, wird es lange
bleiben,//wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben//und wird in den Alleen hin und
her//unruhig wandern, wenn die Blätter treiben.“
„Wir sind die Treibenden“, spüren die Bettler.
Und die Gebenden, die Almosenspender? „Wir müssen dem Herzen geben//Und
nicht einer Hand“, die Blume, das Gedicht. „und müssen gleichsam mit den
Augenlidern//des leichten Falters Flügelschlag erwidern,//und müssen spüren, was die
Blume spürt.“ (aus „Geschrieben für Karl Lanckoro´nski“).
„Wir sind die Treibenden“, nein, die Getriebenen, das wissen die Bettler. Ausgenützt
von anderen, missbraucht von Landsleuten und wie ein Panther im Zookäfig zur
Schau hingesetzt. „Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe//so müd geworden,
dass er nichts mehr hält.//Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe//und hinter tausend
Stäben keine Welt.//Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille//sich lautlos auf
-. Dann geht ein Bild hinein,//geht durch die Glieder angespannte Stille –//und hört im
Herzen auf zu sein.“ (aus „Der Panther“).
„Wir müssen dem Herzen geben//Und nicht einer Hand“: Blumen, Gedichte,
Brosamen, Prosamen.
Der russische Dichter Iwan Turgenew stand Mal vor einem Bettler und da er nichts
in der Tasche fand und das Portemonnaie hat er auch vergessen, reichte er dem
Bettelnden die Hand. Der erwiderte den Händedruck und sagte: „Soviel hat mir
noch keiner gegeben.“
„Von deinen Sinnen hinausgesandt,//geh bis an deiner Sehnsucht Rand://gib mir
Gewand.“ Und „Du wirst erkennen//an seinem Ernste//Gib mir die Hand.“
(aus „Gott spricht zu jedem nur, eh er ihn macht“).
Ich habe Rilke in einer Nacht durch//gelesen am Sterbebett meines Schwiegervaters.
Es war eine besondere Nacht. „Sie müssen dastehn wie der Hirt, der dauert;//von
ferne kann es scheinen, dass er trauert,//im Näherkommen fühlt man wie er
wacht.//Und wie für ihn der Gang der Sterne laut ist,// muss ihnen nah sein, wie es
ihm vertraut ist,//was schweigend steigt und wandelt in der Nacht.//Im Schlafe selbst
noch bleiben sie die Wächter://aus Traum und Sein, aus Schluchzen und
Gelächter//fügt sich ein Sinn< Und überwältigt sie´s,//und stürzen sie ins Knien vor
Tod und Leben, so ist der Welt ein neues Maß gegeben <“
(aus „Geschrieben für Karl Lanckoro´nski“).