Auch der Weser-Kurier berichtet über das gestrige Schreibprojekt in Berne
360 Schüler des Berner Schulzentrums
betätigten sich als Autoren
Von Iris Messerschmidt
Berne. "Schreib’ doch einfach über Rap-Songs. Das liegt Dir als
Ausländer doch." Diese Aussage eines Lehrers machte dem 16-jährigen
Adnan, gebürtig aus dem Kosovo, richtig zu schaffen - gab ihm aber
gleich noch eine Hilfe: "Mein Thema handelt von Vorurteilen in
Deutschland." Dem schloss sich der 14-jährige Delil aus Kurdistan an.
Nur zwei von 360 Schülern des Schulzentrums Berne, die gestern erstmals
eine besondere Erfahrung machten: Einen ganzen Schultag über sich
selbst schreiben.
Bereits zum zweiten Mal organisiert der Schriftsteller und Maler
Reinhard Rakow die "Berner Bücherwochen". Schon im vergangenen Jahr ein
voller Erfolg mit lesenswertem Ergebnis: Ein Buch Gedichten und
Kurzgeschichten von verschiedenen, zum größten Teil unbekannten
Autoren. Auch Kinder sind in dieses Programm aufgenommen - im
vergangenen Jahr beteiligten sich die Grundschüler aus Berne.
In der zweiten Aktion geht es um das Thema "Einfach grenzwertig - Meine
eigenen Grenzerfahrungen". Schon vorab hatte sich auch das
Lehrerkollegium des Berner Schulzentrums Gedanken gemacht und so 37
Themen vorgegeben - von "Glaube - Hilfe oder Enttäuschung?" über "Ich
bin schuld!" oder "Über das Gefühl, ein Loser zu sein" bis hin zu "Das
wollte ich dir immer schon einmal sagen!". "Die Schüler hatten aber
ebenso die Gelegenheit, sich ein eigenes Motto zu suchen", erklärt
Verlagsleiter Alfred Büngen, der neben Reinhard Rakow und den Lehrern
den Schülern für Fragen zur Seite stand.
"Gar nicht so einfach", war nämlich gleich zu Beginn für Schüler,
Organisatoren und Lehrer die Themenfindung. "Habe ich noch nie
gemacht." In den Augen der 14-jährigen Mareen leuchtet
Verständnislosigkeit. Über mich schreiben? Tagebuch führen? Was ist
das?, scheint ihr Blick zu fragen. Eine 14-jährige, die ihre eigenen
Gedanken nicht über ein Tagebuch zu Papier bringt? "Heute die
Normalität", weiß Alfred Büngen durch mehr als zehn Jahren Erfahrung
mit solchen Projekten. Umso spannender ist es, die Schüler zu
beobachten.
Nach der Themenfindung am frühen Morgen wurden die Klassenverbände
nämlich aufgelöst und verschiedene Themenplätze eingerichtet. "Wir
haben gleichzeitig die Schulordnung aufgehoben, doch daran können sich
die Kinder nur schwer gewöhnen", erklärt Büngen weiter. "Norm-Pausen"
waren gar nicht vorgegeben, von den Schülern dennoch "fast schon
pragmatisch" eingehalten. "Sehr zum Leidwesen derer, die sich durch die
plötzliche Aufbruchstimmung aus dem Konzept bringen lassen und fast
einem Gruppenzwang folgend, genau dann eine Pause einlegen, wenn immer
eine Pause eingelegt wird", erklärt Büngen.
Dennoch: Nur ganz wenige Schüler verweigern - ebenfalls aus ihrem
üblichen Schulalltag heraus - die Zusammenarbeit. Es überwiegt die
Kreativität. In der Aula, im Schulgarten, auf dem Pausenhof - überall
sind die eigens für den Schreibtag vorgesehenen Hefte aufgeschlagen,
hinterlassen Kulis auf zuvor noch weißen Blättern die oftmals noch nie
erzählten Gedanken, hinterlassen Zähne Abdrücke auf den Lippen, weil
Schreiben eben doch eine Sache der Konzentration ist.
"In Deutsch hat er eine Fünf, doch die Geschichten die er schreibt,
sind fabelhaft", berichtet Reinhard Rakow seine Beobachtung eines
russischen Jungen. "Dem werden die vier Stunden Zeit nicht reichen",
glaubt Rakow, denn die Geschichten sprudelten nur so aus dem Jungen
heraus. "Beispielsweise, als sein Vater ihn in Russland dazu drängte,
den Lastwagen auf 70 Kilometer pro Stunde zu beschleunigen. Da war er
sieben."
"Niemand muss seinen Namen preisgeben, die Geschichten werden auch
anonym veröffentlicht", verspricht Alfred Büngen. Auch am Ende der
sechsten Stunde ist das Vorlesen der Geschichte nur eine Kann-Regel.
"Die Lehrer bekommen diese Geschichten auch nicht in die Hand",
erklären Büngen und Rakow gemeinsam. Die Hefte werden eingesammelt und
wandern in den Verlag. Wenn nach den Sommerferien Lektorieren,
Korrigieren und Auswählen im Verlag abgeschlossen sein werden, sollen
die Texte vor Veröffentlichung den Schüler-Autoren noch einmal zur
Genehmigung vorgelegt werden. "Anschließend wird auch an der Vertonung
ausgewählter Texte gearbeitet", weist Rakow auf weitere Pläne hin.