Aus der Lesung der SchülerInnen zum Thema 'Ausgrenzung und Verfolgung im Nationalsozialismus' heute in Zwischenahn
Die SchülerInnen des Gymnasiums Bad Zwischenahn lesen heute auf den 2. Zwischenehner Büchertagen um 10.00 Uhr in der Wandelhalle in 4. Blöcken
Leseblock a
Einfühlen in eine jugendliche Zwangsarbeiterin bei Ankunft in bad Zwischenahn
Leseblock b
Schreiben in fiktiven Rollen eines Schüler in den Jahren des Nationalsozialismus
- Eine Bank im Kurpark trägt plötzlich die Aufschrift 'Nicht für Juden' -
Leseblock c
Einer der Mitschüler der fiktiven Klassengemeinschaft wird von der Schule entfernt
Leseblock d
Kurz vor Kriegsbeginn werden die Jungen der Klasse gemustert
Hier einer der Texte aus dem Block a, dem Einfühlen in eine jugendliche Zwangsarbeiterin:
Yannik Schless
Es ist Nacht.
Wir sind eingehüllt in ein tiefes Schwarz, umgeben von einer unbekannten Landschaft, die ich nie zuvor sah. Durch einen kleinen Schlitz in der Holzwand erahne ich die vielen Felder , auf denen sich früh morgens langsam der Nebel bildet. Ich setze mich wieder, lege mich zu meiner kleinen Schwester, um mich zu ihr in die dünne Stoffdecke zu wickeln, die uns die Fremden gaben, denn mir ist kalt. So kalt.
Von da aus sehe ich in die vielen panischen, vor qualvollem Schmerz verzogenen Gesichter der Frauen und Männer, die wohl das gleiche ungewisse Schicksal mit mir teilen werden. Viele Eltern versuchen ihre Kinder zu beruhigen, die vor lauter Angst schreien. Andere sitzen einfach nur verzweifelt, in ihren Gedanken verloren auf dem harten, knorrigen Holzboden. Mein Körper schmerzt, da wir seit Tagen darauf verharren müssen. Die ganze Nacht schon versuche ich meine Augen zu schließen, um zu schlafen, der Angst und der Verzweiflung auch nur einen Moment davon zu rennen. Doch die unruhigen Menschen, dicht aneinander gedrängt, das Ungewisse, das mit jeder Sekunde schneller auf uns zukommt, der Schmerz an die Erinnerung an meine Mama, an meine Familie, sie alle halten mich wach und lassen mich vor lauter Unruhe zittern. Mit jedem weiteren Angstschrei der Kinder, der die Schlafenden aus ihrem schwachen Schlaf reißt, mit jeder weiteren krächzenden Erschütterung des Waggons ,schleicht sich auch bei mir allmählich die Furcht ein, vor lauter Sorge um meine Schwester und aus dem Gefühl, unfreiwillig geradewegs in das Unbekannte zu steuern.
Die Fremden holten uns in der Frühe und ließen uns kein Chance, uns von unserer Familie zu verabschieden. Die bewaffneten Fremden umstellten meine Eltern und befahlen mir und meiner Schwester uns anzuziehen. Sie nahmen meinen Eltern jede Möglichkeit einzugreifen, denn als Papa versuchte, einen der Männer zu Boden zu reißen bedrohte sogleich ein Zweiter ihn mit gezückter Waffe. Gewaltsam schleppten sie uns zu ihrem Wagen. Mama schrie vor Verzweiflung. Doch sie war machtlos.
Der Waggon ist überfüllt und dreckig und stinkt nach Tier. Wir kauern in einem Tiertransporter, verkleidet mit sperrigen Holzstreben und auf dem Boden liegt vereinzelt verschmutztes, altes Heu. Bei schneller Fahrt pfeift der Wind durch die schmalen Schlitze an den schlecht verarbeiteten Stellen der Streben. Es ist kalt. Eiskalt. Unser Gefängnis wurde zu Anfang noch von einem kleinen schmalen Kohleofen am Rand des Waggons beheizt, doch nach drei Tagen Fahrt stellten sie es ein. Manchmal höre ich leise Stimmen hinter der schweren Tür, die unser Abteil mit dem nächsten verbindet. Eine schwangere Frau sagte mir gestern, die uniformierten Männer seinen deutsche Soldaten, die uns nach Deutschland bringen werden. Sie hatte Angst davor. Meine kleine Schwester liegt dicht neben mir auf dem Holzboden.Ich umklammere ihren kalten Kopf. Sie weiß nicht ,was um sie herum passiert. Dauernd fragt sie, wo Mama ist und warum Papa nicht bei ihr sei. Ich versuche sie zu beruhigen, doch sie vermisst ihre gewohnte Umgebung, aus der sie so brutal gerissen wurde und auch ich weiß langsam nicht mehr, was ich ihr noch antworten soll.
Wenn ich wieder mal kurz davor stehe in Tränen auszubrechen, das ganze Leid in diesem Waggon sehe, in die vielen sorgenvollen Minen der Menschen blicke, versuche ich stark zu bleiben, denn ich muss. Ich muss meiner kleinen Schwester gerade jetzt so viel Halt wie möglich geben. Ich bin das Einzige, was sie jetzt noch hat.
Es wird Morgen. Und der nächste Tag des Ungewissen beginnt...