Christian Bormann - das kind

das kind

auf einem distelthron
da sitzt ein kleiner sohn
da sitzen frau + mann
und schauen sich nicht an.

sohn schlägt sie ins gesicht
ihm tuts weh, ihnen nicht –
sie lachen ihn nur aus
und gehen dann ins haus.

ins haus wo keiner wohnt
da draußen winkt der mond
komm setz dich auf den wind
nun weht es fort das kind.

das kind ist groß + alt
es läuft durch einen wald
der wald wächst auf dem moor
es tönt ein lied hervor:

fliegt doch nicht fort ihr schwäne
lasst mich nicht hier im roggen stehn
ich fasse eure segel
ihr schönen weißen vögel
ich reise mit euch an den strand.


ich gehe durch das reife korn
und bin im korn so ganz verlorn
ich hör die sensen klingen
und muss mit ihnen singen
und niedermähen mich und ruhn.

das kind steht nun am meer
und mann + frau sehn her
das kind geht gradeaus
und hinter ihm das haus.

das haus hat einen mund
und augen grau und rund
der mund ist stumm + rot
die augen leer + tot.

ein gelber hofhund schaut
die kette klappert laut
er sitzt und schaut nur still
sie lärmt so laut sie will.

und frau + mann sie stehn
die weißen haare wehn
da steht der distelthron
fort ist der kleine sohn.

 

(aus der regionalen Anthologie der 8. Berner Bücherwochen)