Cornelia Eichner - Frau Keuner, die Kälte und ihr Respekt
Frau Keuner, die Kälte und ihr Respekt
vor den Mutigen
(für M. B.)
Frau Keuner steht im Zentrum ihrer Stadt und schaut sich um. Sie sieht die Erzieherin, welche eine große Zahl von Kindern voller Freude betreut, auch wenn sie dafür (noch) zu wenig Geld erhält. Sie sieht den Ehrenamtler, der große Stücke seiner Freizeit dafür einsetzt, damit für alle die Stadt lebenswerter wird. Sie sieht die junge Frau, die Geflüchtete vor randalierenden Nazis beschützt. Sie sieht die Verkäufe-rin, die unermüdlich kleine Brötchen verkauft, um ihre Fa-milie zu ernähren. Sie sieht die Frau, die eingreift, als ein Mann auf der Straße seine Frau verprügelt. Sie sieht den Handwerker, welcher der alleinerziehenden Mutter nicht nur ein neues Fenster einbaut, sondern ihr auch mit einem Gespräch neuen Mut macht. Sie sieht den Mann, der einem Geflüchteten einfach ein paar Schuhe schenkt, weil der sonst immer in Sandalen herumläuft. Sie sieht den Rentner, der einmal in der Woche alten Menschen vorliest. Sie sieht unzählige Menschen, die immer wieder Geflüchteten dabei helfen, Deutsch zu lernen und hier ein wenig Frieden zu finden. Sie sieht den Schlosser, der jedes Wochenende mit einem Rudel streunender Kinder Fußball trainiert.
Dann hört sie ein Brüllen: „Widerstand, Widerstand” – und ihr wird kalt.
Frau Keuner überlegt: Zivilcourage ist nicht das, was viele Leute denken. Zivilcourage erfordert nicht, ein Held oder eine Heldin zu sein und sich möglichst laut darzustellen. Zivilcourage ist es vor allem auch, mit reinem Herzen, Gewissen und wachem Verstand am eigenen Platz für eine Gemeinschaft die eigene Aufgabe zu erfüllen, dabei dem Menschen gegenüber, auch dem oder der Fremden, ein Lächeln zu schenken und sich immer und immer wieder selbst zu hinterfragen.