Eine halbe Stunde Nähe - Überzeugende Rezension über Holger Küls neuen Gedichtband
Eine halbe Stunde Nähe – einige Stunden Entspannung
Olaf Bröcker
„Eine halbe Stunde Nähe“ – so heißt der dritte Gedichtband, den Holger Küls im Geest-Verlag herausgegeben hat, nach „Kumulus in Nordwest“ (2021) und „Die letzten Tage schon“ (2016) im selben Haus. Es enthält 68 Gedichte und kurze, lyrisch anmutende Prosatexte, die jeweils nur einige Sätze umfassen, in vier Kapiteln.
Die Texte befassen sich mit einer breiten Vielfalt von Themen. Holger Küls schreibt über Kindheit und die Kälte, die in der Nachkriegszeit vorherrschte, über Glaubensverlust, Krieg und Umweltschäden und ihre Folgen, aber auch über Reisen oder Weihnachten. Eingestreut in diese Themenpalette sind Motive über das Schreiben, das Dichten selbst, die er mit den Themen verbindet.
Wie schreibt Holger Küls? Er benutzt keine Neologismen, aber er schreibt nicht klischeehaft. Er verwendet selten reduzierte Sprache, aber er schreibt nicht langatmig. Er vermeidet oft rhetorische Mittel, aber er schreibt nicht alltäglich. Diesen Band hat jemand verfasst, der in der Sprache schreibt, die ein Leser von Lyrikbänden spricht – aber nicht selbst schreibt. Jedenfalls ist das der Eindruck, den Holger Küls geschickt vermittelt, in seiner Kurzprosa, aber auch in Gedichten, und dennoch ist seine Lyrik nicht einfach in Scheiben geschnittene Prosa, nein, er verkürzt Sprache unauffällig, so wie er Themen unprätentiös bearbeitet.
Die Sammlung gibt mir, Text für Text, Wort für Wort, Ruhe, Entspannung.
Da sieht einer dieselben Probleme wie ich; Kunststück, man kann sie kaum übersehen. Aber Holger Küls präsentiert diese Probleme, ohne Krawall zu schlagen, ohne zu schockieren, er umkränzt die Überschwemmung mit einer leichten heiteren Note, ohne sie zu verharmlosen, er nimmt die Kriegsopfer persönlich, ohne mit Bildern zu dramatisieren. Er sagt: Ja, das Problem ist da, denkt nach, aber fühlt euch nicht erpresst!
Da erlebt einer einen ähnlichen Alltag, ohne ihn lyrisch zu überhöhen. Er besingt kein fallendes Blatt im Herbst als Symbol für Vergänglichkeit oder Was-weiß-ich, bei ihm ist es ein Rettungsring, der im Hafen umherschwappt, ironisch unterlegt mit dem Titel: „Spirituelle Übung“. Er beschreibt das Reisen, aber er poetisiert nicht den Alltag, sondern nimmt ihn zum Anlass, über das Verloren-Sein in der Menge nachzusinnen.
Und ich darf dasselbe fühlen, ich darf vor demselben Angst haben, ohne mich in meinem Leben mehr stören zu lassen, als ich aushalte. Ruhe. Entspannung.
„Manchmal spüre ich morgens ein tiefes Bedauern über die Gedichte, die ich bis zum Abend nicht geschrieben haben werde.“
Ja, wir auch.
Holger Küls:
Eine halbe Stunde Nähe
Geest-verlag, Visbek 2025,
12,- Euro