Frau Dr. phil. Frederike Christ: Einführungsrede zum Gedichtband von Robert Heeb - Abgefallene Gedanken

Frau Dr. phil. Frederike Christ: 
Einführungsrede zum Gedichtband von

Robert Heeb
Abgefallene Gedanken
Gedichte
Grafiken von Nicole Müller-Maringer

Geest-Verlag 2011

ISBN 978-3-86685- 279-2

11 Euro

 

Beim ersten Lesen, das eher ein Durchblättern war, fiel mir auf: Wow, da ist gearbeitet worden. Der spießige Deutschlehrerversuch, da und dort ein Wort, eine Satzstellung zu ändern, ist jedesmal gründlich abgeblitzt. Man kann an diesen Texten nicht verändern wollen, ohne etwas Wesentliches darin - ein Bild, einen Klang oder die Atmosphäre des ganzen Gedichts - empfindlich zu stören. Die Texte sind so gewollt, genauso wie sie dastehen.

Die meisten dieser fast 70 Gedichte lassen einen allerdings allein: Zum Selberweiterdenken, wie Du hoffst. Da gehst Du offenbar einig mit Deiner Illustratorin, Frau Nicole Müller-Maringer, die, wie sie sagt, dasselbe mit ihren farbig wechselvollen Illustrationen zu jedem Deiner Kapitel anstrebt. Ihre schwarzen Linien gliedern den Farbfluss des Hintergrundes, lassen kaum Eingänge oder Ausgänge zu den einzeln abgegrenzten Zellen frei. Wie kann ich als Betrachter diese Zellen öffnen oder soll ich mich darin einnisten, um geschützt zu sein? Zum Selberweiterdenken! Die Gedichte lassen den Leser auch deshalb zum Selberweiterdenken allein, weil oft die Überschrift fehlt oder deren Bedeutung offen bleibt. Es gibt auf den siebzig Gedichtblättern kein einziges Satzzeichen, nie einen Schlusspunkt. Das fordert sehr geduldiges, sorgfaltiges Lesen. Pausen und damit Struktur ergeben sich aber trotzdem durch Deinen ausgiebigen Gebrauch der Alineae: In der Regel schliesst ein Gedanke mit einer Verszeile ab, auch wenn diese Verszeile nur aus einem einzigen Wort besteht! Daran kann man sich halten, wenn man nach dem inneren Zusammenhang eines Gedichtes sucht.

Unbewusst hast Du wohl auch das Partizip Praesens als willkommene Bremse in den Wortfluss eingebaut, besondes schön im Gedicht Melodie: Einsam bin ich da
und horchend tastend geh' ich auf verlornen Pfaden suchend meine Melodie ...
Ich habe die mehr als siebzig Blätter an einem Abend mit Spannung durchgelesen. Die Lampe brannte im Wintergarten bis weit in die Nacht hinein. Sehr bald haben sich die Texte in zwei locker verbundene Gruppen geteilt. Du bist Musiker und bist vor allem im Hören zu Hause. Dazu gehören Begriffe wie Stille, Echo, Rauschen, Brausen, Rufen, Schrei. In diesen Hörgedichten, wie ich sie nennen möchte, wirst Du besonders plastisch und echt. Die andere Gruppe, nicht minder echt, kreist um Begriffe wie Traum Sterne, Raum. Denken, Lichtgestalten, Schattenwesen. Sie sprechen von Deiner Sehnsucht nach dem weiten Feld der Träume, einem unermesslich geheimnisvollen Raum, der uns ängstigt aber auch fasziniert, den wir erforschen möchten, um ihm seine Ungeheurlichkeit zu nehmen. Hier sind Deine mutigen Gedanken, die das Dahinter oder Darüber in seiner Allmacht stehen lassen können. Das Wort Demut kommt mir dabei in den Sinn. Es taucht in Deinen Texten kein einziges Mal auf; aber für mich ist das eine Grundhaltung, die Du lebst und schon immer fröhlich gelebt hast. Das ist es , was Du bei Deinem Leser anmahnst. Genau hier hat sich Deine Mühe, Gedanken und Empfindungen in Worte zu fassen und unermüdlich an ihnen zu arbeiten gelohnt: Du verwirfst Deine abgefallenen Gedanken nicht als nutzlos, weil sie sich abgewendet haben oder fremd geworden sind. Du nimmst sie ernst, so wie sie sind und lassest sie in Deiner Sehnsucht stehen. Das macht den Wert Deiner Gedichte aus.

Frau Dr. Christ bei ihrer Einführung in den Band