Jenny Schon - Alle hundert Jahre wieder … Der Pazifistin, Friedensforscherin und Schriftstellerin Bertha von Suttner zum 110. Todestag

Jenny Schon

Alle hundert Jahre wieder…

Der Pazifistin, Friedensforscherin und Schriftstellerin
Bertha von Suttner zum 110. Todestag
geborene Gräfin Kinsky von Wchinitz und Tettau
(* 9. Juni 1843 in Prag; † 21. Juni 1914 in Wien)

Dass ihr weltberühmter Ruf „Die Waffen nieder“ noch einmal so eine Brisanz bekommen würde wie heute, hat wahrscheinlich kaum einer vermutet. Nach den zwei großen Weltkriegen, und auch in Anbetracht des Schreckens, dass Atombomben eingesetzt worden waren, bin ich in einer Generation groß geworden, die Frieden wollte und eine starke Friedensbewegung hatte – seit kurzem ist das obsolet, es wird von Zeitenwende gesprochen, die Hände sind uns gebunden, wie es auch Bertha von Suttner erlebt haben muss. Sie hat allerdings den Ausbruch des 1. Weltkriegs nicht mehr erlebt. Sie starb am 21. Juni 1914 in Wien. Einige Tage später, am 28. Juni 1914, geschieht das kriegsauslösende Attentat auf das Thronfolgerpaar in Sarajevo.
In einer österreichisch-böhmischen Adelsfamilie aufgewachsen, wo die meisten Männer beim Militär dienten, ihre Mutter eine geborene von Körner, entfernt verwandt mit dem Freiheitskämpfer und Dichter Theodor Körner, wird sie schon früh militaristisches Vokabular kennen gelernt haben. Aber die Familie, wie viele Adelsfamilien im 19. Jahrhundert, verarmte, sie musste als gebildete Frau Dienst antreten als Lehrerin und Erzieherin in der Familie des Industriellen Karl Freiherr von Suttner in Wien. Als sie sich in den jüngeren Sohn Arthur verliebte, flog sie aus der Stelle und ging nach Paris, wo sie für kurze Zeit Sekretärin bei Alfred Nobel wurde. Als er vom schwedischen König in seine Heimat berufen wurde, ging sie wieder nach Wien und heiratete heimlich Arthur.
Da er enterbt wurde, mussten sie sich ihr Geld selber verdienen. Sie zogen nach Georgien, sie schrieb Unterhaltungsromane und Übersetzungen, er seit dem Russisch-Türkischen Krieg 1877 Berichte für deutsche Wochenblätter. Später wird Bertha sagen, trotz aller Schwierigkeiten, war es die glücklichste Zeit ihres Lebens.
Ihre Geschichten und Essays, teils unter Pseudonym waren in österreichischen Zeitschriften erfolgreich, sie begann sich mit dem Pazifismus auseinander zu setzen, 1886 verfaßte sie das Buch High Life, in dem sie die Stellung der Aristokratie zur Gesellschaft kritisiert:
„In der hiesigen Atmosphäre herrscht ein seliges Nichtwissen all der Dinge, die das Jahrhundert bewegen. Die Entwicklung, die die Sozialwissenschaft zu nehmen beginnt, wird als „Sozialismus“ in die Verbrechenskategorie gereiht, und man setzt ruhig voraus, dass ein paar Ausnahmegesetze damit fertig werden. Die Bewegung der Wissenschaft, die nach allen Seiten die Darwinsche Methode anzuwenden strebt, wird als lächerliche Gelehrtenschrulle unbeachtet gelassen…die Tendenz, welche in Literatur und Kunst nach immer größerem Realismus führt, wird nicht wahrgenommen, denn zum Lesen hat man einmal wenig Zeit…“ (High-life, S. 210 f.) Sie sieht in der Bildung die große Hilfe für gesellschaftliche Veränderungen.
1889 erscheint der epochenmachende Roman „Die Waffen nieder!“. Er dient als ein Instrument für die friedenspolitische Erziehung. Sie ist 46 Jahre alt und wird das prominenteste Mitglied der bürgerlichen Friedensbewegung. Auch die Geschlechterfrage spielt bei ihr eine wichtige Rolle, denn die unterschiedliche Erziehung der Geschlechter bringe eine Kultur des Krieges und der Gewalt hervor: Die jungen Männer sollen zu Helden erzogen werden, die Mädchen diese Helden anfeuern, belohnen und trösten. Somit tragen die unpolitisch gehaltenen, angeblich friedfertigen Frauen ihren Teil zur Aufrechterhaltung des Kriegssystems bei. Ganz deutlich wird das bei Ausbruch des 1. Weltkrieges, als Mütter ihre einberufenen Söhne segnen.
Später führt sie das näher aus, nämlich dass Bildung Macht ist, dass Bildung Freiheit bedeutet. Mit freier Bildung meint sie vor allem Schulprogramme, deren Inhalte den aktuellen Kenntnisstand der zeitgenössischen Wissenschaften entsprechen und von konfessionellem Geist befreit sein sollten. Sie stand Kirche und Militär kritisch gegenüber. Sie lehnt es auch ab, dass das Bildungssystem für Mädchen lediglich vorsieht, gute Ehefrauen aus ihnen zu machen. So eine Kadettenanstalt für höhere Töchter ist wunderbar dargestellt von Romy Schneider und Lilli Palmer in dem 1958 gedrehten Film „Mädchen in Uniform“, der einen gleichnamigen Vorläufer 1931 hatte.
Der Roman „Die Waffen nieder“ erschien in Dutzenden von Auflagen und in 15 Sprachen. Zehn Jahre später, 1896, erscheint der Roman als broschierte Volksausgabe zu einer Deutschen Mark, als sogenannter „Groschenroman“.
Sie schreibt unzählige Essays und Romane, 1905 erscheinen ihre Werke
in einer zwölfbändigen Gesamtausgabe.

In einem Artikel vom 3. September 1891 in der Neuen Freien Presse forderte sie die Gründung einer „Österreichischen Gesellschaft der Friedensfreunde“:
„Darum ist es nothwendig, daß überall dort, wo Friedensanhänger existieren, dieselben auch öffentlich als solche sich bekennen und nach Maßstab ihrer Kräfte an dem Werke mitwirken.“ (Bertha von Suttner: Der nächste Friedenscongreß in Rom).
Sie wird Teil der internationalen Friedensbewegung, in dessen Folge ihr 1905 als erster Frau der Friedensnobelpreis in Oslo verliehen wurde. 1903 wurde als erster Frau überhaupt ein Nobelpreis verliehen, Marie Curie, für die Entdeckung der Radioaktivität, 1911 den für Chemie für die Entdeckung der Elemente Radium und Polonium sowie für die Isolierung des Radiums, sie ist eine der wenigen, die zwei Nobelpreise hat. Die Nobelpreise wurden 1901 das erste Mal verliehen.

Alfred Nobel war ein schwedischer Industrieller, Erfinder des Dynamits und des Zünders dafür, und bereits 1896 gestorben. Er hatte Bertha von Suttner, die er 1876 kennen gelernt hatte, bis zum Schluss ideell und materiell unterstützt. Sie waren in kontinuierlichem Kontakt.
Mit Alfred Nobel und Bertha von Suttner standen sich zwei konträre Ideologien gegenüber, die das 19. und 20. Jahrhundert beim Thema Krieg und Frieden, letztendlich bis heute, beherrschen.
Nobel wollte Frieden durch Abschreckung. Er schrieb ihr:  
„Vielleicht werden meine Fabriken die Kriege schneller beenden als deine Friedenskongresse, denn wenn sich zwei gleich starke Armeen gegenseitig in einer Sekunde vernichten können, werden alle zivilisierten Nationen davor zurückschrecken und ihre Truppen auflösen.“ (aus: Tore Frängsmyr, Alfred Nobel, deutsche Fassung herausgegeben vom Schwedischen Institut, ISBN 978-91-520-0955-0)
Bertha von Suttner hingegen glaubte an die Vernunft der Menschen, geschaffen durch Bildung, nach dem Motto: “Frieden schaffen ohne Waffen“.  Sie legte damit den Grundstein der internationalen Friedensbewegung. Aber und auch das ist ein Bezug zu heute, noch kurz vor ihrem Tod, 1913, soll sie auf der Straße gerufen haben: "Warum tut Ihr nichts, Ihr jungen Leute? Wehrt Euch doch, schließt Euch zusammen. Lasst nicht immer alles uns paar alte Frauen tun, auf die niemand hört." (Stefan Zweig, "Die Welt von gestern", Harnburg 1965, S. 194 f.)