LUCIA NEUMANN, Am Fenster

LUCIA NEUMANN, ROSENHEIM
Am Fenster

Ich sitze am Fenster.
Da draußen das Leben.
Kinder. Lachen. Spielen.
Autos. Geschäftigkeit. Rettungswagen.

Ich sitze am Fenster.
Traurig. Neidisch. Sehnsüchtig. Hoffnungsvoll.
Einmal soll wieder der Tag kommen,
an dem ich,
ohne darüber nachzudenken,
einfach wie alle anderen
hinausgehe und lebe.

Lockdown wegen eines Virus‘.
Lockdown wegen Krankheit.
Lockdown im Körper.
Lockdown in der Seele.
Lockdown im Kopf.
Schmerzen im Herz.

Ich sitze am Fenster.
Damit es wieder möglich wird,
arbeite ich hart
mit anderen zusammen
an mir und meinen Kräften,
meinen inneren und äußeren Funktionen,
meinen Be-Grenzungen.
Damit die Einschränkungen fallen.

Ich sitze am Fenster.
Die Einschränkungen
in den Köpfen der anderen
kann ich leider nicht ändern.
Das Unverständnis
nicht verstehen.
Ich sollte mich mehr herausfordern.
Ich würde zu kleine Brötchen backen.

Was sie nicht wissen:
Ich habe es versucht.
Ich habe das gemacht.
Ich wollte.
Um jeden Preis.  
Das Resultat:
Zurück auf Los.
Rien ne va plus.
Noch weniger als vorher.

Ich sitze am Fenster.
Ich wünsche mir Geduld.
Für mich mit mir.
Für die anderen mit mir.

Ich sitze am Fenster
und hoffe.
Auf das Ende des Lockdowns.
Auf das Ende dieser Übergangszeit.
Auf mein Leben.

Ich schließe die Augen
und träume.
Ich bin da draußen.
Tanze, lache, feiere
mit meinen Freunden.
So fühlt sich Leben an.

Doch
dann
mache ich die Augen auf
und merke:
Ich sitze immer noch am Fenster.