Marlies Kalbhenn - Gedichte zum Antikriegstag
Fünfundvierzig im Februar
Marlies Kalbhenn
Der Teufel war los in Aschaffenburg
fünfundvierzig im Februar.
Der Krieg, den man später den zweiten hieß,
den zweiten Weltkrieg, am Ende war.
Der Bahnhof: kaputt. Viele Häuser: Ruinen.
Die Trümmer, die Scherben: nichts weiter als Schutt …
Auf Scherben reimt sich Verderben
und Sterben! – Doch noch gab der Teufel
sich nicht geschlagen, fiel ihm nicht ein
zu kapitulieren. So hagelten
auf dieses Kleinod am Main
weiterhin wochenlang tödliche Bomben,
war Geschützdonner täglich zu hören,
die Westfront: morgens und abends so nah!
Selbst das schien den Teufel nicht zu stören …
Mein Vater, als Leutnant im Dienst des
Verführers, erlebte hautnah
Aschaffenburgs Leid … Wenn er später
erzählte, was damals geschah
– um aufzuklären schonungslos offen –,
schloss er die Rede mit: „Seid auf der Hut,
verweigert den ‚Führern‘ Kanzel, Katheder
und euren Gehorsam – dann wird alles gut.
P.S. Und nennt die Despoten nie mehr ‚Teufel‘,
sie waren Menschen, darauf reimt sich nichts …“
***
Jahrgang 1945
Marlies Kalbhenn
Geboren am Ende des Kriegs
– ein Kind des Glücks, nicht des Siegs –,
bekam’s in die Wiege gelegt,
was seine Eltern bewegt’:
„Krieg darf kein Mittel mehr sein!“,
das prägten dem Kind sie ein.
Was würden sie heute sagen,
könnt es sie heute noch fragen?
***
Bis wir das Kreuz entdeckten
Marlies Kalbhenn
Als der Regen aufhörte,
waren wir reif für die Insel.
Es war alles so
wie erwartet:
der blaue, wolkenlose Himmel,
das blaue, wogenlose Meer,
der weiße Strand,
grünende Dünen,
Wiesen und Weiden,
Heckenrosen, rosa und weiß …
Es war alles so
wie erwartet schön –
bis wir das Kreuz entdeckten,
das hässliche Kreuz
mit den Haken,
in eine Bank geritzt
an plötzlich gar nicht mehr
lauschigem Platz!