Wendelin MANGOLD

Worms, hin und zurück, 8-9/7/15
Reisegedichtzyklus

BERGHOCH

In der Buchhandlung Schmitt & Hahn
lag die Neuausgabe „Der Zauberberg“
von Thomas Mann – 1098 Seiten hoch.

RÜCKSTÄNDE

Nach der Rekordhitze des Jahres
über Nacht steiler Temperatursturz,
beim Lösen der Fahrkarten spuckte
der Automat heiße Moneten aus.

SCHWAZFAHRT

Im Zug ein Anruf von meiner Frau:
Wie kam sie herein ohne Fahrschein?

SIE KOMMT VON UNTEN

Als Folge des Wetterumschwungs
verspürte ich einen Druck im Kopf
und mich jagten Gedichteinfälle:
Wahrlich, Poesie ist nicht verkopft!

FUSSBALLSPIEL

Heuballen auf Felder gefallen,
werden von Traktoren gekickt.

WASSERSTILLE

Schiffe und Kähne auf dem Rhein –
Schlittschuhläufer auf glattem Eis.

MEINER VERSTORBENEN MUTTER

Mit Gott ist leichter leben,
noch viel leichter sterben.

SEITENSPRUNG

Leicht ist es nicht, zur Seite springen,
man ist doch kein Hase, für den Seiten-
sprünge eine ganz natürliche Sache ist.

MÄDCHENMORD IN INDIEN

Wirst du als Mädchen geboren,
bist du verloren. Daher gebären
Frauen alleinig Jungen. Mädchen
lässt man verdursten, verhungern.

ARBEITSBESCHAFFUNG

Nun hats die Raucher getroffen,
früher warens, die viel gesoffen,
es findet sich immer was und wer –
Arbeit gibts immer und immer mehr.

UNVERNUNFT

An was nicht alles der Mensch denken
muss, an Frösche, Schildkröten, Falter –
die Liste der ausgestorbenen Arten wird
immer länger. An was nicht alles er nicht
denken muss, ist er vernünftig!

LANGWEILIG

„haben sie vanilleeis“
(aus: Andreas Peters „PENTECOSTE.
Geistliche MiniaTüren“, S.34)

Mein Enkel Daniel stand vor der
großen Auswahl der italienischen
Eisdiele. „Na, welches willst du?“ –
„Hier das blaue. Und du, Opa?“ –
„Ich nehme Vanilleeis.“ – „ Opa,
so langweilig! Immer Vanille,
Vanille, Vanille.“ Nach einer
Weile in der prallen Sonne:
„Opa, darf ich deins probieren?“ –
„Schmeckt dir wohl deins nicht?“ –
„Doch, aber ich möchte deins.“

SCHLAFFÜSSE

Man sagt, meine Füße sind
eingeschlafen – Was nun?
Muss man sie jetzt wecken,
um weiter gehen zu können?

ANDREAS PETERS*

Für ihn sind die Wörter
eine Rassel, er schüttelt
und rüttelt sie, entlockt
ihr somit echte Poesie.

*russlanddeutscher Dichter

DEMOKRATIE

Perlen vor die Säue werfen –
ein kräftiger Ausdruck. Wer
den wohl als erster geprägt?
Bestimmt ein Eingebildeter,
der das Volk verschämt hat.
Gebraucht heute einer diesen
Ausdruck, so streut er statt
echten Perlen Glasschmuck
nicht vor die Säue, sondern
vor die Gleichberechdigten.

RAUB

Bei der Ausfahrt war ich
vertieft ins Lesen – neuer
Gedichtband von A. Peters –
und habe die Flussüberfahrt
verpasst. Andreas, du hast
den Main mir gestohlen!
Dafür Gedichte geschenkt.

9.7.2015

AUF BESUCH

Der Papst fährt und fliegt
in der ganzen Welt herum,
besucht die Seinen wie ich
meine Kinder und Enkeln.

DER ALLMÄCHTIGE

Er geht durch geschlossene
Türen und Fenster, er geht
ins Herz, in den Verstand,
er ist der bessere BND.

VERSTECK

Angst, die in uns fährt,
sitzt in den Knochen.

ENDLICH

Die Toten sind der Ewigkeit
nahe, auf dem Friedhof läuft
die Zeit anders, verlangsamt
sich bis in die Ewigkeit.

CARDIOKLOPFEN

Herzklopfen – bis hinauf
zum Kopf, zu den Ohren –,
doch niemand außer mir
kann das Klopfen hören.

UMGELEGTES GRAS

In die Knie gezwungen,
bevor es zu Heu wird.

ZORN DER WOLKEN

Zuvor weiß und luftig,
nun geballt und dunkel.

DÜRRE

Es schreit der Mais,
es lechzt das Korn.

REUE

Ich habe gesündigt, verzeiht mir,
ihr russisch schreibenden Autoren,
ich habe religiöse Texte aus dem
Deutschen ins Russische übersetzt.

КИЗЯК*

Der Dichter Andreas Peters
geht sehr sparsam mit der
Sprache um wie die Deutschen
mit Brennholz in den weiten
Steppen, dem Verbannungsort –
auch trockene Kuhfladen
mussten notfalls herhalten.

*russ (lies: kisjak) trockener Kuhmist
mit Stroh vermischt als Brennstoff

UNGEBETENER GAST

Der Anschluss war sehr knapp,
habe ihn mit Not noch erreicht,
jedoch war der Zug übervoll.

SUMPF

Der Zug war zum Besten voll
und ich stand mir die Beine
bis Königstein in den Bauch.

BEINFAHRZEUG

Der Zug voller Passagieren,
kein freier Sitzplatz und ich
fuhr auf meinen Beinen.