Werner Hardam: Retter der Nacht (Gedicht des Tages am 9. September)

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Retter der Nacht

Es waren nur wenige Demonstranten,
aber sie genügten, um den Straßenverkehr
zu blockieren.
Sie hielten Schilder hoch, auf denen Sätze
wie „Rettet die Nacht!“ standen.    
Ich war ungehalten, schließlich
hatte ich einen anstrengenden Tag hinter mir.   
Ich war müde, wollte schnell nach Hause,  
mich entspannen, den Ärger loswerden.   
Aber es gab kein Durchkommen,
die Demonstranten versperrten mir den Weg.     
Wütend kurbelte ich ein Seitenfenster herunter.
„Was ist?“, herrschte ich einen der Leute an,
„Habt ihr nichts Besseres zu tun?“   
„Wir wollen die Nacht retten,
es ist höchste Zeit dafür.“
„Blödsinn!“, rief ich.
„Nächte hat es immer gegeben.
Was soll man daran retten?“
„So einfach liegen die Dinge nicht“, erwiderte der
Demonstrant.
„Wohnen Sie hier im Viertel?“
„Ja, ja“, sagte ich. „Aber was geht Sie das an?“
„Nun, dann werden Sie mitbekommen haben,
dass es um die Nächte bei uns schlecht bestellt ist:
der ständige Lärm auf der Autobahn in der Nähe,
der Krach, den die neue Disko erzeugt,
der kleine Flugplatz nicht weit von hier…
Können Sie da noch ruhig schlafen?“

Ich hielt inne und dachte nach.  
Der Demonstrant hatte Recht,
mit der Ruhe war es hier schon lange vorbei.
Besonders nachts,
wenn jeder schlafen wollte.
Zwar gab es Schallschutzwände und –  
wenn es ganz schlimm wurde – Ohrenstöpsel.  
Aber waren das Lösungen?  
„Wann haben Sie das letzte Mal
den Sternenhimmel gesehen?“
Ich konnte mich nicht erinnern,
es musste, wenn überhaupt,
schon lange her sein.  
„Na ja“, stammelte ich und
versuchte eine Antwort zu finden.   
Aber der andere lachte nur.
„Geben Sie sich keine Mühe,
Sie können den Sternenhimmel gar nicht sehen.“
„Warum nicht?“
„Weil es hier nachts viel zu hell ist.“

Wieder musste ich ihm zustimmen.  
Die vielen Lampen und Lichter
im Viertel hatten das, was eigentlich
Dunkelheit heißt, längst vertrieben.

Ich stellte den Motor aus, stieg aus dem Wagen.
„Was wollen Sie mit Ihrer Gruppe erreichen?“
„Wir wollen, dass die Nacht sich
wieder deutlicher vom Tag absetzt.“
Er schaute mich ernst an.
„Die Nacht ist eine Ruhephase, so meinen wir,  
auf die jeder Bürger Anspruch hat.“
Eine fantastische Vorstellung. Ich staunte.
„Wir möchten die Stille neu entdecken,  
das Funkeln der Sterne über uns sehen,   
uns vom Licht des Mondes
in sanfte Träume wiegen lassen…“
„Hören Sie auf!“, unterbrach ich ihn.
Mir waren Tränen gekommen.
„Sie haben mich überzeugt!“
Ich griff nach einem Schild,
schloss mich dem Zug an.  
Warum hatte ich solange gebraucht
um zu begreifen, wie wichtig es war,
die Nacht zu retten?
Ich drehte mich um, hörte und schaute:
Unruhe, Lärm und Scheinwerferlicht überall.
Aber nicht mehr lange, so schwor ich.
Unserer Gruppe wird schon etwas einfallen.
Und es war mir, als ob der Mond,
der nur mit Mühe hinter einer
Häuserwand zu erkennen war,  
mir freundlich zunickte.   

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