Wendelin Mangold - Knacks-Erlebnis (auch ein Erlebnis auf der Frankfurter Buchmesse)
KNACKS-ERLEBNIS
Ein feste Burg ist unser Gott (Martin Luther)
Donnerstag, den 14.10.2011. Späte Mittagszeit. Ich als Begleiter von vier Frauen, Verlegerinnen aus Almaty, Kasachstan, auf der Frankfurter Buchmesse, die der deutschen und englischen Sprachen nicht mächtig, wenn nicht „ohnmächtig“, sind. Die Frauen wollten am Schluss was Feines essen in einem feinen Restaurant. Ich fragte einen Security-Mann in zitronengrüner Dienstweste, ob es auf dem Messegelände so was gäbe. Er: Da müssen Sie aber raus. Nun sind wir gegangen, überquerten eine stark befahrene Straße und standen vor dem Hotel „Hessischer Hof“. Da gibt es bestimmt ein sehr feines Restaurant, sagte ich bloß zum Spaß. Den Frauen war es aber ernst: Gehen wir rein! Geäderter Marmor und glänzender Goldmessing begrüßten uns. Dürfen wir? Bitte. Hier Garderobe. Ein hoher Raum, die Wände von unten bis oben marmoriert. Ein Blick in das Restaurant: drei ineinander geschachtelte Räume, einer schöner als der andere. Bitte einen Moment warten. Nehmen Sie hier Platz, bitte. Soll ich Ihnen was zum Trinken bringen? Wie nett hier alle sind, wie zuvorkommend. Nach zwei-drei Minuten: Ein Tisch für Sie, bitte! Wir werden vorbeigeschleust an schneeweiß gedeckten Tischen in den zweiten Raum. An der Wand des ersten Raums eine lange Tafel, eine Gruppe Männer dinierte und führte gerade ein feines Gespräch. Im Zentrum, uns zugewandt, erkannte ich sofort Roger Willemsen. Vom feinen Essen, erlesenen Getränken und intelligenten Gesprächen warm durchblutete Gesichtsfarbe wie immer und im hellblauen Hemd wie im Fernsehen und auf dem Werbeplakat. „Der Knacks“, sein Buch auf diesjähriger Buchmesse hat mich interessiert. Wo bin ich? Wie beim Abendmahl: Er Jesus Christus im Zentrum und um ihn herum seine Apostel, leider war die Blickmöglichkeit viel zu kurz, um zu erkennen, wer hier Simon, Petrus, Jakobus, Johannes, Philippus, Bartholomäus, Matthäus, Markus, Lukas … Judas ist?
Ich denke, wie wäre es gewesen, ich ginge zu ihm, streckte die Hand zur Begrüßung aus und stellte mich vor: Herr Willemsen, Jesus Christ! Ich kenne Sie vom Fernsehen und Internet, lese über Sie in Zeitungen und Zeitschriften, kaufe Ihre Bücher.
Nun kamen fünf Speisekarten. Ich: Haben Sie die auch in Russisch? Nein? Eine reicht dann, ich dolmetsche. Die Damen sprechen kasachisch und etwas russisch. Ich lese: Menü I, Menü II – je € 69. Wir werden gefragt: Was wünschen Sie trinken? Ich: Mineralwasser, für alle. Die Damen wollten Wein. Ist das nicht zu teuer, 49 Euro die Flasche. Nun trat der Mundschenk an uns: Welchen wünschen Sie? Die Damen fast einstimmig: Einen Chilenen, einen süßen. Hier die Weinkarte, Weine aus aller Welt. Darunter auch vier chilenische, sehr gute, wenn auch nicht süß. Meine Damen enttäuscht. Wenn Sie wünschen, öffne ich eine zur Probe. Er goss mir und zwei Damen einen Schluck ins hochbeinige Weinglas. Die Damen verzogen enttäuscht die Gesichter. Solchen Wein, dachte ich mir, kann ich jeden Tag discount für 2-3 Euro kaufen! Der Mundschenk: Wir haben andere gute Weine. Die Damen: Bitte, einen, gleich welchen Landes und Staates, aber nicht so trocken. Der Mundschenk: Bitte, ich kann Ihnen mehrere anbieten. Aber jede geöffnete Flasche müssen Sei bezahlen. Denn wohin mit dem entkorkten Wein und nahm die Flasche weg, öffnete eine neue. Dieser Wein war auch nicht besser und nicht süßer. Die Damen begriffen wohl: Könnte teuer werden, jede Flasche 49 Euro.
Nun wurden wir mehrhändig bedient, gebrauchte Gläser weg, neue rein polierte her, ein Gang nach dem anderen her, Geschirr weg. Auf dem schneeweißen Tischtuch blieben ein paar rote Weinflecken zurück. Rechnung! Ausgedruckt, in einem Notizblock wie eine Bucheinlage: € 284. Die Damen zuckten nicht einmal mit einer Wimper. Eine von ihnen legte drei grüne Scheine hinein. Wir standen auf: Sau bol! Do swidanja! Auf Wiedersehen.
Das war für mich „Der Knacks“: Von dieser Summe müssen viele Deutsche einen ganzen Monat leben, lieber Roger Willemsen! Sie denken wohl: Ein feste Burg ist unser Bank! Aber so wird es nicht immer sein, das müssten Sie doch als Schriftsteller wissen.