Aus schwangeren Laternen - Zehn junge Autoren mit ihren Texten
Aus schwangeren Laternen
Texte von
Svenja Marie Bösing
Luisa Maureen Chilinski
Daniela Heyng
Anneke Hugenberg
Lydia Kock
Felix Lang
Kajan Luc
Lena Schnieders
Tale Inger Ulbrich
Eike Wahls
Geest-Verlag 2011
ISBN 978-3-86685-281-5
ca. 300 S., 12,50 Euro
Einen besonderen literarischen Leckerbissen gibt es mit dem Buch ‚Aus schwangeren Laternen’ .
Svenja Marie Bösing, Luisa Maureen Chilinski, Daniela Heyng, Anneke Hugenberg, Lydia Kock, Felix Lang, Kajan Luc, Lena Schnieders, Tale Inger Ulbrich, Eike Wahls schreiben seit zwei Jahren in der Schreibwerkstatt des Gymnasiums Antonianum unter Leitung von Olaf Bröcker. Und nicht zuletzt die in der Zwischenzeit errungenen literarischen Auszeichnungen und zahlreiche Lesungen (u. a. in Berlin) zeugen von der hohen literarischen Qualität, die die jungen AutorInnen erreicht haben. Sprachlich und inhaltlich überraschen sie stets aufs Neue mit überraschenden Sichtweisen, die dem Leser einen anderen Blick auf Wirklichkeiten ermöglichen.
Literarisch denken
von Alfred Büngen
Fast täglich hören wir – von den Medien geradezu huldvoll verbreitet – neue Nachrichten über die offensichtliche Lese- und Schreib-Apathie von Kindern und Jugendlichen. Wer wie ich als Verleger fast wöchent-lich an verschiedenen Orten und in unterschiedlichen Schulen der Bundesrepublik mit Kindern und Jugendlichen Schreib- und Buchprojekte initiiert und durchführt, kann diese Meldungen nicht immer nachvollziehen. Mir begegnen Kinder und Jugendliche zumeist anders – und das in allen Bildungsschichten und in allen Schularten, mit und ohne Migrationshintergrund. Auch das vorliegende Buch zeigt in besonderer Weise, zu welchen Schreib- und Leseleistungen junge Menschen in der Lage sind. So ist mir um die grundsätzliche Fähigkeit zum Schreiben und Lesen bei Kindern und Jugendlichen trotz PC und iPhone nicht bang.
Versuchen wir, die Widersprüche auch anhand der Entwicklung der Schreibwerkstatt des Gymnasiums Antonianum aufzuzeigen, die ich, dafür meinen herzlichen Dank an Olaf Bröcker und die jugendlichen Schreibwerkstatt-Mitglieder, über einen Zeitraum von fast zwei Jahren begleiten durfte.
Erstmals traf ich einige der Jugendlichen auf einem Schreibworkshop, der anlässlich des alljährlichen Sommerfestes des Verlags stattfand. Wir hatten sie eingeladen, zusammen mit Autoren zu schreiben. Ein Schreibimpuls war rasch gegeben und Autoren und Jugendliche schrieben los, schrieben auf gleicher Ebene, spontan, ohne besondere Räumlichkeiten und Vorbereitungen. Und heraus kamen Texte, die so gut waren, dass sie noch am selben Tag einem staunenden Publikum präsentiert wurden. Auch die professionellen Autoren, die mitschrieben, waren völlig überrascht über die Originalität und Qualität der Texte.
Wieso klappte es an diesem und vielen anderen Tagen, an denen die Schreibwerkstatt tagte, die Jugendlichen zu einem solchen Schreiben zu bewegen? Olaf Bröcker gibt in seinem Beitrag die entscheidende Antwort: Die Jugendlichen wurden ernst genommen in ihrem Schreiben, denn es war und ist unglaublich wichtig, was sie mitzuteilen hatten. Man hörte sich gegenseitig zu bei den fertigen Texten, entwickelte ein Gefühl dafür, was man sagen wollte, übte Kritik, machte Verbes-serungsvorschläge, fragte von sich aus, wie man es besser formulieren könnte.
Und hier liegt der entscheidende Unterschied zum ‚funktionalen’ Schreiben, das im Regelfall den schulischen Alltag bestimmt. Zielgenau formulierte Vorgaben sollen erfüllt, Fragen auf Zusammenhänge beantwortet werden, die Kinder und Jugendliche vielleicht nicht so sehen, nicht so erfahren. Lesen und Schreiben entwickeln sich auf diese Weise nur zu häufig nicht, denn sie sind nicht als Element eigenen Lebens erfahr- und umsetzbar.
Oder lassen Sie es mich anders erklären. Wir als Erwachsene haben häufig eine Ablehnung gegenüber neueren Kommunikationsformen wie der SMS oder der E-Mail, denn viele von uns haben keine Verwendung dafür im alltäglichen Leben. Für Jugendliche sind diese Formen aber häufig existentielles Ausdrucksmittel, so wie es vielleicht für uns einmal der Brief war oder das Telefongespräch. In dem Moment, in dem wir zum Beispiel das Mail als eigene Kommunikationsform entdecken, bauen wir unsere Ablehnung ab, erfahren es als neues Ausdrucksmittel mit neuen Möglichkeiten und erwarten im Übrigen auch von demjenigen, dem wir schreiben, dass er unsere Worte ernst nimmt.
Nicht anders ergeht es den Kindern und Jugendlichen in dem Moment, in dem sie das ‚literarische’ Schreiben entdecken und als Mittel eigenen Ausdrucks erfahren. Sie verlangen, in ihren Inhalten ernst genommen zu werden.
Ich denke, hier liegt der entscheidende Schlüssel. Den Jugendlichen die Möglichkeit zu bieten, Lesen und Schreiben als Moment eigenen Werdens zu verstehen, führt zum Entdecken der Wichtigkeit dieser Ausdrucksformen. Und der Weg führt für einige weiter bis hin zum literarischen Schreiben, so wie dieser Weg für die zehn Jugendlichen dieser Schreibwerkstatt bis hin zum eigenen Buch geführt hat. Es gelang, sie im Laufe der Arbeit mit unterschiedlichen Formen des Schrei-bens zu konfrontieren, sie ausprobieren zu lassen, sei es Lyrik, sei es der Essay etc. Jeder von ihnen hatte die Chance, seinen eigenen Weg zu finden – und fand ihn. Elementar wichtig dabei war, dass die anderen und wir als erwachsene Begleiter ihnen zuhörten, sie in ihren Aussagen als eigene Persönlichkeit wahrnahmen. Keinesfalls immer lobten, vielmehr auch Texte und ge-fundene Formulierungen kritisierten, aber auch Kritik zurücknahmen, wenn wir nicht verstanden hatten, was sie eigentlich doch treffend sagten.
Nicht weniger wichtig ist die öffentliche Präsentation ihrer Texte auf Lesungen vor unterschiedlichem Publikum. Sie immer wieder die Erfahrung spüren lassen, dass es ihre Texte, ihre Inhalte sind, es ihre Sprache ist, mit denen sie die Auseinandersetzung mit Menschen suchen. Und es war enorm, welche Professionalität sie innerhalb kurzer Zeit erwarben, sich sogar zutrauten, in Berlin Texte vor mehreren Hundert ihnen völlig fremden Schülern zu lesen oder vor einem Erwachse-nenpublikum, von dem sie wirklich niemand kannten.
Es war eine Freude zu erleben, wie die Jugendlichen es auf einem Arbeitswochenende in Bad Zwischenahn schafften, alle vorliegenden Texte durchzusprechen und zu entscheiden, welche in ihr Buch aufgenommen werden sollten, denn jedem Text, der ins Buch aufgenommen wurde, musste von allen zugestimmt werden. Aus sich selbst heraus entwickelten sie Formen demokratischen Miteinanders, die Einfluss auf ihr wei-teres Leben haben werden.
Literarisches Schreiben entwickelte sich für die Mitglieder dieser Schreibwerkstatt so zu einer Form des Denkens, die auch uns als Erwachsenen neue Sichten auf die Wirklichkeit ermöglicht. Dafür gilt ihnen mein ganz besonderer Dank.