Nicoleta Craita Ten'o liest am heutigen Dienstag, 22.1. aus 'Die Naht des Silberschuhs' in der Oberschule In den Sandwehen in Bremen

In dem Vakuum deiner Hände meine gefangen, gegen das Brett deines rauschenden Blutes das linke Ohr gedrückt, so beschloss ich die Welt umzubenennen. Auf der Suche nach einem passenden Namen durchquerte ich die steilen Gebiete deines Körpers, der Angst vor Gestern und Morgen, sammelte die länglichen Stiele des Esspapiers auf, das das Kind in dir als Notfallmedizin bei sich trug, probierte die Kleider aus deinem Kleiderschrank, erkämpfte mir einen Platz in der Loge bei der Aufführung einer deiner nächtlichen Albträume. Auf der Suche nach einem geeigneten Namen für die Welt schoben meine Knie die Gipfel beiseite, um die Sonne im Gesicht zu spüren, brach meine Stimme in der Stille einer Kirche aus, erlag dem Summen eines Wiegeliedes, sprossen die Sporen jener Pusteblumen aus, denen ich – gedankenverloren - Fliegen beibrachte. In der Dunkelheit der Nächte danach, suchte ich nach einem besseren Namen für die Welt und fand einen Krug im Keller, ein großes Gefäß aus grünlichem Kupfer, mit gar nichts gefüllt und staubig, eine Relikt vergangener Zeiten, der Anstoß, mein Leben einzutopfen. Einfach so, um es endlich an einen sicheren Ort zu bringen. Einfach so, um es konservieren zu können.
Bei dem Versuch, mein Leben in einen Krug zu stecken, stießen meine Füße über wandernde Steine, deren zirkularen Spuren ich blind zu folgen versuchte. Die Wege, die sich dadurch ergaben, waren direkte Strecken in die Vergangenheit, eine Neuauflage meiner Kindheit. Der erste Schultag, den ich mit kurzem Haarschnitt in meiner geliehenen Uniform antrat. Der Wackelzahn an einem Samstagabend. Die Stunden des Bangens in dem Haus ohne Freude und die Augenblicke der Zufriedenheit. Die Quintessenz jedes menschlichen Daseins, seine Kindheit. Aus den Kindheitserinnerungen krabbelten die Sockenmonster empor, die Suppenkasper und die Ameisenfresser, durchdrangen die Klänge jener einsamen Nächte, die Furcht vor dem Morgenanspruch. Die Angst vor der Zukunft. Zur Kindheit fuhren auch alle anderen Spuren, die der Flugzeuge, der warmen Quellen, die mit Erbsen und Linsen gebaut. Es sah so aus, als bestünde mein Leben allein aus diesen Kindheitserinnerungen, als wären diese nicht nur Ursache, sondern auch Folge jeder meiner Taten in dem unüberschaubaren Verlauf meines bisherigen Lebens …

(aus Nicoleta Craita Ten'o: Die Naht des Silberschuhs

 


Nicoleta Craita Ten'o liest am heutigen Dienstag, 22.1. aus 'Die Naht des Silberschuhs' in der Oberschule In den Sandwehen in Bremen

Nicoleta Craita Ten'o liest am Dienstag, den 22. Januar 2019 um 10.30 Uhr zusammen mit Verlagsleiter Alfred Büngen im Lesegarten der Oberschule In den Sandwehen aus dem Jugendroman 'Die Naht des Silberschuhs'

Nicoleta Craita Ten'

Die Naht des Silberschuhs

Jugendroman

ISBN 978-3-86685-655-4
11 Euro

 

 

„Was meinst du, wird aus uns?“, fragte sie und wirkte dabei sehr zerbrechlich. Mireille antwortete nicht sofort. Sie nahm Riekes Hand in ihre und spielte mit ihren Fingern.
„Wir sollen darüber nicht nachdenken, oder? Wir können doch nichts planen, oder so was ... Wir warten einfach ab, und ... genießen den Augenblick ... Oder?“
Rieke und Mireille, zwei Mädchen so unterschiedlich wie Tag und Nacht - und unzertrennlich.
Nachdem die beiden 15. jährigen Schülerinnen sich auf dem Schulflur begegnet sind, ist für beide plötzlich alles anders. Zaghaft entwickelt sich die stetig wachsende, innige Freundschaft der beiden, während um sie herum, und in ihnen das Leben tobt. Ein Leben zwischen den Zeilen von Schule, Eltern, Bulimie und Bodenlosigkeit.
Die Naht des Silberschuhs - Eine Liebesgeschichte der anderen Art, eine Nahaufnahme des Lebens.