Angelika Lichteneber, Diesmal nicht

Angelika Lichteneber, Hersbruck
Diesmal nicht


An meine Großeltern und Urgroßeltern:
„Liebe“ Großeltern und Urgroßeltern scheint mir keine passende Anrede für Euch zu sein. Als führende Mitglieder der Gestapo und der SS ist man nicht lieb.
Einer Eurer noch lebenden Bekannten versicherte mir, welch ehrenwerte Leute Ihr gewesen seid. Ich wusste nicht, ob ich lachen oder heulen soll.

Das Erbe, das Ihr hinterlassen habt, ist eine schwere Last. Wie oft habe ich mich geschämt für das, was Ihr getan habt. Wie oft habe ich mir gewünscht, Ihr hättet „lieb“ und „ehrenwert“ gehandelt, hättet Euch nicht mit Begeisterung dem Wahnsinn ergeben, hättet Euch an die Seite derer gestellt, die verfolgt, gedemütigt, gefoltert, gequält und umgebracht wurden. Stattdessen muss ich damit leben, dass Ihr zu Tätern wurdet, dass Euer Verstand und Euer Herz nicht ausreichten, um den Wahnsinn zu erkennen, dem Ihr begeistert hinterhergerannt seid.
Ihr habt dafür gesorgt, dass „deutsch“ zu sein in aller Welt ein Makel ist und mit den übelsten Grausamkeiten in Verbindung gebracht wird. Ihr habt erbarmungslos verfolgt, was sich Euch in den Weg stellte, und habt Euren Größenwahn und Eure Mordlust ungebremst ausgetobt. Was anders war als Ihr, wurde vernichtet: anders denken, anders aussehen, anders handeln, anders lieben, anderswo geboren sein reichte, um Eurem Hass zum Opfer zu fallen.
Es gibt kein Wort als passende Beschreibung für das Unsägliche, dem Ihr Euch verschrieben habt, so als hättet Ihr einen Pakt mit dem Teufel persönlich geschlossen, als hättet Ihr Eure Seelen verkauft an die Hölle selbst, so es sie gibt, als wäret Ihr zu willenlosen Dämonen geworden, die keine Ruhe finden. Und es scheint mir, als würde euer Geist aus den Gräbern wieder aufsteigen, wenn ich die heutigen Nachrich-ten lese.
Wieder brennen Häuser, wieder wird gemordet, wieder wird zu Felde gezogen gegen die, die anders sind. Wieder ist man stolz, „deutsch“ zu sein. Wieder werden die Scheiterhaufen geschürt, weil der kleine Verstand die Größe und Vielfalt der Welt nicht fassen kann, weil er einem einredet, man müsse die anderen bekämpfen, demütigen, verfolgen und ihrem Elend überlassen. „Ihr seid besser als die!“, flüstert der Dämon, „Ihr müsst Euch schützen!“

Diesmal nicht. Wir werden nicht wie Schafe hinterherrennen. Wir werden es nicht zulassen, dass unsere Kinder und Enkel sich schämen müssen für Ihre El-tern und Großeltern. Wir werden es besser machen. Wir haben eine Verpflichtung. Denn auch wir sind deutsch. Und wir sind anders. Wir denken anders, wir handeln anders, wir sind Vielfalt und Viele und wir wissen, wohin Euer Denken geführt hat.
Es ist Eure Schuld, die wir tragen. Und wir machen es anders. Vielleicht kommt der Tag, an dem Eure Nachfahren Euch ehren können. „Sie haben es nicht besser gewusst“, werden sie sagen, „aber wir haben daraus gelernt. Wir haben gelernt, mit und in der Vielfalt zu leben. Und darauf sind wir stolz!“
Damit Eure Schuld sich in Gutes wandelt: Diesmal nicht.