19.09.2024 - aktueller Autor - Bernhard Behrendsen



Bernhard Behrendsen, Jahrgang 1964, ist gelernter Schiffsmakler und seit mehr als zwei Jahrzehnten in seiner Geburtsstadt Hamburg als Angestellter in verschiedenen Bereichen der maritimen Wirtschaft tätig. Die Liebe zum Meer und das Interesse an der Fischerei spiegeln sich in seinem literarischen Erstlingswerk wieder.
Der verheiratete Vater zweier heranwachsender Söhne lebt mit seiner Familie in Trittau, einer kleinen Gemeinde im Osten Hamburgs.

 

Veröffentlichungen im Geest-Verlag

 
daraus einen Ausschnitt:
 

Fahrwasser Der Ponton schwankte sanft vom Wellenschlag der vorbeifahrenden Schiffe, doch Phil spürte es kaum.
Der Himmel war grau und es fing leicht an zu regnen. Er klappte den Kragen der steifen Jacke nach oben und zog sich seine Watchcap aus dicker blauer Wolle tiefer ins Gesicht. Seit Tagen schon hielt der starke Nordost an gegen das ablaufende Wasser, und der kräftige, kalte Wind drängte die Flut flussaufwärts. Im Radio und in den lokalen Fernsehstationen warnte man bereits vor Hochwasser und Überschwemmungen, doch eine wirkliche Gefahr bestand vorläufig nicht.
Es war Winter und das Wetter für diese Jahreszeit beileibe nicht ungewöhnlich. Die Menschen, die hier lebten, hatten gelernt, sich damit zu arrangieren, und solange man sich an die Spielregeln des Wetters hielt, war nichts zu befürchten. Weitaus schlimmer waren die gefürchteten Wintereinbrüche, die als Blizzards vom Norden herunterzogen und dann das gesamte Leben der Region zum Erliegen brach-ten. Davon war man diesen Winter zum Glück bislang verschont geblieben.
Zusammen mit Phil wartete eine Handvoll Leute auf die Fähre der River Line. Die meisten von ihnen waren ver-mutlich auf dem Weg nach Hause, bepackt mit vollen Tüten oder Taschen.
Die Fähre verkürzte den Weg zu den kleineren Orten auf der anderen Seite des Flusses beträchtlich, und so war es nicht verwunderlich, dass viele Pendler ihr den Vorzug vor einer Fahrt mit dem eigenen Wagen über die weiter oben gelegene stählerne Klappbrücke gaben.
Viele der täglichen Passagiere arbeiteten in der Stadt und benutzten die Fähre zweimal am Tag. Der Betrieb war zwar nicht profitabel, aber die finanziellen Verluste der River Line wurden durch die Stadt ausgeglichen. Vor einiger Zeit hatten die Betreiber versucht, die Fährverbindung stillzulegen, doch aufgrund massiver Proteste aus der Bevölkerung hatte man diese Entscheidung zurücknehmen müssen.
Mit einem harten Stoß gegen die Streichpfähle, die zum Schutz des schwimmenden Anlegers in den Flussboden ge-rammt waren, legte das kleine Fährschiff an und Phil stieg ein. Während er sich im Salon noch nach einem Fensterplatz umschaute, setzte sich die Fähre schaukelnd wieder in Bewegung und ließ den Anleger in einer dicken Ruß-wolke hinter sich.
Die anderen Fahrgäste hatten es sich bereits bequem gemacht, soweit dies auf Plastikschalen überhaupt möglich war. Einige unterhielten sich angeregt. Gesprächsfetzen drangen durch das monotone Brummen des Motors, hin und wieder stampfte der Bug heftig in eine Welle und Gischt spritzte mit Wucht auf die Scheiben entlang beider Seiten der Fähre.
Im Gegensatz zu ihnen war er nicht auf dem Weg nach Hause, sein Ziel war ein anderes.
Während sich das kleine Schiff, den Kurs gegen Wind und Wellen haltend, flussabwärts mühte, dachte er nach. Über die bevorstehende Fahrt, über die Ereignisse der vergangenen Monate und über die letzten Jahre, die ihm jetzt so vergeudet vorkamen.
„Diese eine Fahrt“, sagte er zu sich, „und das Geld ist zusammen, endlich zusammen.“
Sein Traum war in greifbare Nähe gerückt.
Während er aus dem beschlagenen Fenster des Decksalons hinausblickte auf das graue, windzerfurchte und mit wei-ßen Schaumkronen bedeckte Wasser, das hier bereits breit der Mündung entgegenstrebte, träumte er vom Frühjahr und seinem eigenen Schiff.