Alexander Klönne - Die perfekte Currywurst (JUgendliche melden sich zu Wort)

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Die perfekte Currywurst

Günther stand an seinem Grill direkt hinter der Verkaufstheke und drehte mit der Zange einige der langsam braun werdenden Würstchen um. Obwohl er berufsbedingt an Wärme gewöhnt war, machte ihm die schwülwarme Abendluft zu schaffen. Stän-dig musste er sein Taschentuch aus der Hose zie-hen, um sich den Schweiß von der Stirn zu tupfen.
Einige Meter von seiner Imbissbude entfernt saßen Familien mit Kindern, Rentnergrüppchen und junge Paare vor einer italienischen Eisdiele, geschützt von großen roten Marlboro-Sonnenschirmen, und die Verkäufer mancher Geschäfte begannen schon, ihre Waren in die Läden zu schieben. Auch Günther würde bald Feierabend haben, doch viele kamen ja auch noch nach Ladenschluss bei ihm auf eine Schale Currywurst vorbei. ‚So wie sich das für einen richtigen Bochumer gehört’, schmunzelte er.
Als Günther seinen Blick durch die Fußgängerzone schweifen ließ, blieb er an der Bankfiliale direkt gegenüber hängen. Zwischen einem Augenoptiker und einer Dönerbude eingezwängt, wirkte sie ein wenig fehl am Platz mit ihrer blitzsauberen Glasfassade, die das Sonnenlicht reflektierte. Einer der Angestellten hielt gerade einer Kundin zum Abschied die Eingangstür auf. Als sich auch er entspannt umsah und ihre Blicke sich trafen, winkte er freundlich und ging langsamen Schrittes wieder hinein. In seinem schwarzen Anzug musste er schwitzen wie ein Tier, und Günther konnte es ihm nicht verübeln.
Kurze Zeit später stand der Banker mit einer ledernen Aktentasche in der Hand vor seiner Theke und bestellte eine große Schale Currywurst. „Gehen Sie eigentlich gar nich’ zum Dönermann bei sich ne-benan?“ „Ach, watt soll datt denn! Ne vernünftige Currywurst ist doch genau das Richtige nach Feier-abend! Datt jehört sich einfach so!“ Anspruchsvoller Job hin oder her, dass auch solche Leute in seiner Sprache redeten, empfand Günther immer wieder als angenehm. Er mochte es nicht, wenn sich je-mand von einfachen Menschen wie ihm abzugren-zen versuchte. „Datt macht dann zwoo fuffzich, der Herr.“ Er streute noch eine großzügige Prise Curry-pulver über die Sauce und stellte die fertige Schale auf die Theke. Den schmächtigen Jugendlichen hatten weder er noch der Banker wahrgenommen. Als dieser gerade seine Aktentasche abstellte, um in seiner Geldbörse nach den nötigen Münzen zu suchen, ließ sich der Junge die Chance nicht entgehen. Hastig grapschte er die Tasche vom Boden und rannte, so schnell er konnte. Vollkommen
überrumpelt sah ihm der Banker nach, ehe er sich besann, das Portemonnaie wieder in sein Jackett stopfte und ihm hinterher hechtete. Ungläubig blickte Günther über die Ladentheke gebeugt den beiden Rennenden nach, schüttelte verwundert den Kopf und ging nach hinten, um die Polizei zu infor-mieren.
Die Currwurst aber stand noch immer auf der Theke, allein und verlassen. So schnell, wie der Bank-angestellte seiner geklauten Aktentasche nachrannte, so rasch brach für sie ihre Welt zusammen. Ihre Welt, die ihre Berechtigung einzig und allein in der Bestimmung einer jeden Currywurst fand, und die recht einfach gestrickt war. Zwischen all ihren Art-genossinnen eingezwängt in durchsichtiger Plastik-folie, hatte sie die längste Zeit ihres kurzen Daseins gefroren. Direkt nach ihrer Geburt im Kühlhaus der Wurstwarenfabrik, auf der langen Fahrt im Kühllas-ter hierher und in der Gefriertruhe dieser Imbissbude, hatte ihr Leben eine jähe Wendung vollzogen. Sie hatte es vorher gespürt, wie es alle Currywürste tun. Günther hatte sie aus ihrem eisigen Gefängnis befreit – und geradewegs auf den fettigen Grillrost gelegt, unter dem die glühende Hölle tobte.
Aber so hatte es von Anfang an sein sollen. Nun war sie ihrem Ziel ihrer Erfüllung so nahe gewesen. Und noch dazu hatte sie sich dafür mächtig ins Zeug gelegt: braun, aber nicht verkohlt, saftig,
aber nicht labberig, knackig, aber nicht zäh. Das Idealbild einer perfekten Currywurst. Sie war tat-sächlich zu dem geworden, was die Bestimmung einer jeden Currywurst vorsah und überhaupt aus-machte. Einmal einem Käufer zugewiesen, sollte sie nie von ihm weichen, sich auf ewig mit ihm vereinen, an seinem Gaumen ein Geschmacksfeuerwerk entfesseln, das ihn noch lange träumen lassen soll-te und das er niemals vergessen würde. Und nun sollte es gerade ihr verwehrt bleiben, ein glitzerndes Leuchten in die Augen eines Menschen zu zaubern? Was würde Herbert Grönemeyer dazu sagen, wenn es ausgerechnet eine Currywurst aus seiner geliebten Heimatstadt nicht schaffte, ihren Käufer zu verzücken? Schließlich hatte er doch eine Hymne auf ihren großartigen Geschmack geschrieben, Eine zubereitete Currywurst, die achtlos weggeworfen im Schlund eines Mülleimers landete, war eine Schande. Eine Blasphemie und ein Verrat an allen Currywürsten, die geduldig ihre Qualen ertrugen für den einen Moment des höchsten Genusses.
Nein, so konnte sie nicht enden. Ihre Ehre als Currywurst war ihr heilig. Ihr blieb keine andere Wahl, sie musste es tun. Beseelt von diesem Gedanken entschloss sie sich endgültig. Sie nahm ihre Schale in die Hände und rannte los. Und wenn der Banker seine Tasche noch immer nicht hat, dann rennt sie noch heute.

Alexander Klönne ( 18 Jahre )

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