Carla Lorenz - Suppe (4. Platz beim Vechtaer Jugendliteraturwettbewerb)

Hördatei: 

Carla Lorenz, 20 Jahre, Wien (AT)
Suppe

Blicke mich hierher. Niemand gefällt mir, so ist das. Niemand gefällt sich. Dass wir nicht herpassen, aber zusammen. Dass wir keinen Platz finden im Zug. Drehen und schauen uns um. Im Kreis, dreimal oder bis wir eben stehen. Und sehen, kein Platz ist da im Zug. Ausschau halten mit Grund und ohne Ziel, Ausschau halten, bis man eben steht. Sich nicht mehr dreht.
Dann denke ich halt einen Gedanken oder zwei. Zur Übung und zur Ablenkung. Dann ist da halt die Stimme in meinem Kopf. Die Stimme hallt. Aus meinen Ohren an die Wand, aus meinen Ohren auf dich zu. Immer davon, ganz selten hinein in mich.
Auf der Fensterbank sitzen und gemalt werden dabei. Bin mir nicht sicher, ist das so? Malst du mich? Sehe das Blatt nicht. Malst du das Fenster oder mich, wohin malst du dich? Halte aber still, bin so gerne Gemalte. In der Vorstellung oder im Dunkeln. So schön ist das, dieses Stillhalten. Dieses Warten auf den eigenen Körper, der erst entsteht in dir.
Stelle die Worte um, in den Sätzen und in den Händen, sie verlieren ihren Stand, sie verlieren ihre Punkte. Fließen mir so aus dem Mund, so wie ich sie eben erwische, mit dem Daumennagel oder mit dem Schulterblatt. Schmiegen müs-sen sie sich können, in die Stimme, und nicht mehr. Darum jeden Morgen die Stimme sanft machen und weich mit dem Sand, die Stimme glätten wie trockene Haut. Runterreiben was klebt an ihr. Bleiben sollen dann nur sie und Worte, die sich wohlfühlen.
Du kommst aus dem Bad mit dem Spiegel, du schaust nicht anders aus. Wie jemand aussieht, jemand, der sich frisch in den Spiegel geschaut hat. Allein mit sich sein und dem Spiegel, ob da etwas passiert. Eine Versöhnung oder viel-leicht auch nur ein Blinzeln hin zu sich. Was macht der, der Spiegel? Vor allem anders.
Wir beschließen, etwas muss passieren. Wir bekommen Hunger. Nudeln gekocht mit nur einem Wasserkocher, mit nur einem Aufreißen und einem Schütten in die Schüssel. Alles geht so schnell, wenn man so langsam ist. Die Nudeln essen und bei einigen, bei den langen Nudeln, kleine Geräu-sche hinzufügen. Das Essen darf nicht vergessen werden. Zur Erinnerung daran dem Essen immer eine Kulisse geben, im Ton und im Bild. Du sagst wenig dazu, du schweigst. Beim Essen und beim Blicken. Eine Lücke liegt dir in den Augen, Lider legen sich über sie. Verstecken willst du sie nicht, nur bedecken. Gedanken an Geister. Die sind stumm, die sind da. Wünschst du dir, Geist zu sein. Wünschst du dir die Sprache weg und die Stimme? Darauf erwidere ich nichts. Trinke die Schüssel nicht leer, lasse sie stehen. Später schwimmt unsere Asche darin, unsere Zigaretten, die gerauchten, die ungerauchten schon aus, schon gebraucht. Alles riecht so stark nach dieser Suppe.
Immer zu früh, wenn ich aufstehe. Die Sonne scheint, dann wird es auch zu heiß. Mache jeden Morgen zu einem Tag. Jede Nacht halte ich offen und fest, mit allen vieren halte ich sie. Wo ich bin. Wo ich sein will. Müde vor mich hin. Müde mich von da nach dort. Manchmal die Gefühle zu Zuständen machen.
Hat es dir wehgetan, das Fallen. Frage ohne ein Zeichen. Frage aus Gewohnheit, weil ich die Pausen so mag. Wenn die Gefragten dann denken, so tun oder es tun, ich mag das. Wenn das Gesicht dann unbewegt ist und sehr matt, vom Atmen wenig zu hören ist. Das hat nicht wehgetan, das Fal-len, das war ein schönes Fallen, sagst du mir. Kann ich das verstehen, überlege ich. Kann ich das in Worte fassen oder mir selbst eine Meinung dazu, nein. Das Fallen bleibt ein Fallen.
Die Tage bröseln sich mir auf den Körper. Und wie wasche ich sie ab. Und wie sammle ich sie zusammen, wie stecke ich sie mir in den Mund. Dazu müsste alles viel weniger kleben. Wobei ich gerne lebe in diesem Kleben. Immer in einem Dazwischen zu sein, das beruhigt, macht mich matt und mich weich. Das hüllt mich ein und lässt mich sein. Strecke mich aus zwischen den Tagen, verschränke die Ar-me, die Beine, verschränke meine Gedanken zu einem ein-zigen.
Bin so voll mit Musik, nichts passt mehr hinein in mich. Schaue dem Himmel beim Umfärben zu, gerade das noch ertragen. Die Stille einer lauten und großen Bewegung. Still, weil so weit weg. Still, weil nicht mehr da. Gehe mit gespreizten Fingern durch die Welt, berühre so viel und so oft ich kann. Strecke die Finger in die Luft. Die Luft ist kein Himmel, stelle ich fest, die Luft legt sich unter und über den Himmel, versteckt sich in Transparenz. Ich verschicke Nachrichten nach oben und drehe mich zu Boden. Da ist so viel über mir. Diese Luft auf mir nicht ertragen, diese Luft trägt meinen Geruch, irgendwo auch deinen. Und dann regnet es.
Mache alles zum ersten Mal. Das begreife ich und fühle mich wie ein Kind. Fühle, wie meine Haare in den Kopf zu-rückwachsen und wie die Fingernägel so klein werden, wie meine Augen sich öffnen, so weit. Jedes Mal mache ich nur einmal. Einmal das erste Mal und einmal das zweite Mal und mache ich das zweite Mal zum zweiten Mal, wird sofort das dritte Mal daraus. So ist das und so bleibt mir Mal für Mal das allererste Mal.
Auf meinem linken Ellenbogen dieser Mückenstich. Von wo die Tiere denn hier noch kommen. In dieser Stadt, denke ich, da gibt es wenige, da gibt es mich und den Balkon, da gibt es einen kleinen Himmel und einen großen Ort zum Schla-fen darin, er deckt mich zu, dieser Ort. Aus einer Farbe ist er gemacht, die ich blau nenne, der Ort ist aus Stoff und ist warm, wenn er auf mir liegt. Und nichts Besseres fällt mir ein, als ihn zu nehmen und umzudrehen, wenn ich die Wärme nicht ertrage. Das Drehen und das Wenden, um Or-te, um mich. Um mich auch eine Umarmung. Gilt die mir oder dem Tag?
Gehe in einer halben Dunkelheit, einem halben Licht. Die Schatten sind schön, solange sie da sind. In ihnen mache ich die Schritte schnell, in ihnen lebe ich als Eine, die es eilig hat, oder Angst. Wenn ich dann müde werde vom Gehen, dann bleibe ich, wo ich bin, setze mich hin. Warte auf den Bus, die Bahn, warte, bis etwas kommt und mich holt. War-te geduldig und oft tagelang. Warte an Orten ohne Bank, setze mich auf den Boden. Wo ich denn sei, fragst du mich. Antworte nicht. Musst mir doch nicht entgegenkommen.
Dann ist es geschafft, wenn die Tür sich nach innen hin öffnet. Dann bin ich da. Schaue in keinen der Räume hinein, mache kein Licht, gehe meiner Erinnerung entlang in dieselbe Richtung, aus der ich diesen Morgen schon gekom-men bin. Der Blick aus dem Fenster zeigt einen Riss in der Fassade. Zwei Meter ist er breit oder drei, dazwischen ein anderes Haus. Sieht aus, als würde das schon immer so sein. Alles passt ineinander und zusammen, die Farben, die For-men, die Fenster. In einem davon ich. Die Brille vor den Au-gen und die Schüssel in der Hand. Im Mund liegt mir das Schweigen. Eine Nacht lang schaue ich dem Raum beim Raumsein zu, eine Nacht lang bleibe ich hier sitzen. Am Fenster, wo es tropft, wo ich halb draußen bin, halb drinnen. Wo ich meine Beine halte wie ein Kind, fest und bestimmt, ihr gehört zu mir, Beine, sage ich damit.
Du kommst zurück oder herbei, ich weiß das nicht. Ich frage nicht. Wo warst du – das ist keine Frage, das ist eine Ant-wort. Den stellt man nicht, diesen Satz, den gibt man. Nur will ich gerade nichts geben, die Augen nicht heben. Meine Lippen, die sich ausruhen aufeinander. Die sich brauchen, die Obere die Untere, die gar nicht auseinander sein können. Die verschmelzen zu einem Schweigen, das stehenbleibt in warmer Luft. In die Stille hinein löffle ich dann Suppe.
 

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