Denise Schrade - Träume gehen nicht verloren (Jugendliche melden sich zu Wort am 24. September)

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Träume gehen nicht verloren

Guten Tag,

ich heiße Denise Schrade, bin 19 Jahre alt und ste-he kurz vor dem Abitur. Ich denke, dass ich ziem-lich fleißig bin, doch war das nicht immer so. Als kleines Kind hatte ich zwei große Träume. Zum ei-nen wollte ich Tierärztin für Katzen werden, zum anderen, sozusagen als Freizeitjob nebenher, die Chefzeichnerin bei Disney. Niedlich, oder?
Ich wurde jedoch von meinen Eltern schnell auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Ich sei zu faul, hieß es. Den höchsten Abschluss, den man mir zu-traute, war ein Hauptschulabschluss, und zwar nicht einmal ein guter. Meine Eltern schickten mich auf eine Gesamtschule, und dort erlitt ich dann ei-nen totalen Leistungsabfall. In der nächsten Zeit versuchte ich, mich so gut wie möglich über Wasser zu halten. Mit Erfolg. Als ich nach zwei Jahren von der Zweigstelle zum Hauptgebäude wechselte, wurden die Grund- und Erweiterungskurse ein-geführt. Leider fand ich mich nur in zwei Er-weiterungskursen wieder.
Nun kam die Zeit, dass ich die negative Einstellung meiner Familie satt hatte. Ich begann in Mathe, aber auch in vielen anderen Fächern, richtig Gas zu geben. Ich wollte noch einen dritten Erweiterungs-kurs bekommen. Das gelang. In fast allen Fächern ging es jetzt bergauf. Am Ende der zehnten Klasse war es soweit. Die Chance auf einen Realschul-abschluss rückte in greifbare Nähe. So einfach würde man mich nicht noch mal unterschätzen!
Der Tag der Abschlussvergabe kam. Ich war ge-spannt, ob es gereicht hatte. Ich schlug das Zeug-nis auf und las in den schönsten Buchstaben der Welt die Worte „Ihr wird die Berechtigung zum Be-such der gymnasialen Oberstufe erteilt.“ Ich glau-be, in diesem Moment bekam ich den Mund nicht mehr zu.
Als ich nach Hause kam, versteckte ich mein Grin-sen unter einem Pokerface: „Mama, Papa, ich glau-be, ihr werdet enttäuscht sein.“ Meine Eltern nah-men das Zeugnis und, Schock, schwere Not, sie waren völlig perplex. Ich habe zwar schon gesehen, wie sie sich im Normalfall freuen, aber dieser Ge-sichtsausdruck jetzt war Gold wert. Dieser Stolz, den sie empfanden! Nach etwa dreißig Minuten wusste es die gesamte Verwandtschaft.
Jetzt stehe ich kurz vor dem Abitur und habe Aus-sicht auf einen Studienplatz. Den Traum, Tierärztin für Katzen zu werden, habe ich verworfen. Aber vielleicht ist ja mit ein wenig Fleiß und viel Glück irgendwann einmal eine Stelle bei den Disney- Stu-dios drin.
Drückt mir bitte die Daumen!

Denise Schrade (19 Jahre)

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