Ein Studienrat in unserer Zeit

Noch immer macht es ihm gehörig Spaß,
die Sprache und Kultur zu unterrichten.
Er lebt in Texten auf, steckt an, gibt Gas,
auch heute, da sich seine Haare lichten
und sich die Falten im Gesicht verdichten.
Denn noch sind seine Knochen nicht aus Glas.

Auch mit den Schülern kommt er prima klar.
Doch rauben Meetings, Mails und Postverwaltung -
Er merkt es immer mehr mit jedem Jahr -
die Zeit für seine Unterrichtsgestaltung.
Ideen kommen so nicht zur Entfaltung.
Das alles macht ihn mürbe, kocht ihn gar.

Bis abends sitzt er in der Konferenz.
Da soll er, was er tut, evaluieren.
Und dabei ist der Zeitdruck recht immens,
das heißt: bei Nacht Klausuren korrigieren.
Doch jetzt kann er nur aus dem Fenster stieren.
Von draußen grüßt ein wunderschöner Lenz.

Wenn er am Wochenende, was ihn plagt,
dann vorträgt seinen Freunden und Bekannten,
so schimpfen sie: „Was ihr nun wieder klagt,
ihr Weicheilehrer, Nörgler, Meckertanten!“
Alsdann verstummt er, mimt gar den Entspannten.
Er weiß, sein Thema ist auch heut´ vertagt.

Dieter Wöhrle
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