Jana Ruder - Flias (Jugendliche melden sich zu Wort am 16. April)
Hördatei:
FLIAS
Jana Ruder
„Hey Schatz, wo warst du denn?“
„Keine Ahnung! Der Postbote fand mich heute Mor¬gen schlafend hinter
der Mülltonne!“ Melanie sah sich ihren Flias von Schuh bis Krawatte an
und ent¬schied sich dafür, seinen Anzug wegzuwerfen, da von ihm ein
unangenehmer Duft zu entweichen ver¬suchte.
„Schatz, du weißt hoffentlich, dass wir heute auf eine Hochzeit müssen.
Gott sei gedankt, dass deine Mutter mir deinen besten Smoking
anvertraute, da ich sonst nicht wüsste, wie wir dich bis zu der
Trau¬ung wieder attraktiv machen könnten.“ Melanie legte sich aufs Bett
und schlug sich die Hände vors Gesicht.
„Schätzchen, mein kleiner Schnuckie. Ich wäre ohne dich verloren!“
„Ohne den Postboten wärst du sogar schon früher in der Gosse gelandet,
und ohne deine Mutter wärst du wahrscheinlich nackt auf der Hochzeit
erschie¬nen. Ach herrje! Die Hochzeit!“ Die Ehefrau stand plötzlich
auf, schob ihren Mann vor den Kleider¬schrank und holte eine
Aspirintablette aus ihrem Kleid. „Hier, nimm das und werde wieder
vernünftig. Ich möchte keinen Affen neben mir auf dem Hoch¬zeitsfoto
sehen! Meine Freundin würde mir das abgelichtete Malheur ständig aufs
Handy senden!“
Sie steckte ihm die Tablette in den Mund und ging ins Badezimmer. Flias
Fastenstock, so war sein vol¬ler Name, konnte nur mit viel Mühe die
Pille he¬runterwürgen.
Nachdem beide Partner losgehbereit waren, ging es noch um ein wichtiges Thema: „Wer heiratet über¬haupt?“
Flias fragte sich dies schon die ganze Woche. Ver¬mutlich löschte der
Alkohol andauernd seine Erin¬nerungsfetzen. „Hast nicht du die
Einladung aus dem Briefkasten geholt?“ Flias schaute seine Frau an, die
schon im Wagen saß.
„Schatz, du weißt doch, dass du sie mir zeigtest und dann in den Kamin
warfst. Ich konnte gerade noch ‚Einladung zur Hochzeit’ entziffern!“
Die Fastenstocks saßen schließlich total verdutzt im Auto, komplett
angezogen, geschminkt und bereit, sich die Birne auf der Hochzeit
anzuheizen.
„Warte mal, Melanie! Ich glaube, der Peter von ne¬benan heiratet
heute.“ Melanie blickte zu dem mit Zelten und Buffettischen
zugestellten Nachbarsgar¬ten.
„Ach ja! Peter hatte mich gestern angerufen, aber da du wieder einmal
nicht zu Hause warst, war ich eher damit beschäftigt, dich ausfindig zu
machen, als mir das Telefonat zu merken!“
Der entfachte Streit im Auto nahm seinen Lauf und die Hochzeitsgäste
erfreuten sich an dem amüsan¬ten Spektakel. Ein Geschenk, welches sich
das Hochzeitspaar nie erträumt hätte.