Karla Stockhausen: Ein unglaubliches Ereignis (Jugendliche melden sich zu Wort)

Hördatei: 

Ruhrkulturen. Was ich dir aus meiner Welt erzählen möchte Hg. von Andreas Klink und Artur Nickel

Ein unglaubliches Ereignis

Hi, ich bin Lucy, und ich möchte euch etwas Unglaubliches erzählen. Aber bevor ich anfange, müsst ihr eines wissen: Ich wohne nicht schon immer in Essen, sondern bin erst vor zwei Jahren hierher gezogen. Vorher habe ich in Los Angeles in den USA gelebt. Bis heute ärgern mich manche Mitschüler, weil ich einen amerikanischen Akzent habe. Aber genug davon, kommen wir zu dem unglaublichen Ereignis.
Alles fing vor ein paar Wochen in der Schule an. Meine beste Freundin Laura hatte Geburtstag. Sie wurde vierzehn Jahre alt und er-zählte, sie wolle eine riesige Party in unserem Klassenraum in der Schule feiern. Klar, eigent-lich darf man das nicht. Aber Lauras Eltern sind so unglaublich reich, dass irgendwie alles geht. „Bei uns erlauben die Lehrer praktisch alles“, dachte ich. „Ach, Lucy, sei nicht eifersüchtig! Du musst nicht traurig sein“, versuchte mich Laura aufzumuntern. „Du bist doch selbst erst dreizehn geworden.“
Ich war nicht traurig, ich war eher wütend. Und wie! Aber nicht, weil Laura vielleicht in der Klasse eine Party feiern durfte, sondern weil ich bemerkt hatte, dass Pauline, eine andere Klas-senkameradin, gerade auf dem Schulhof mit meinem heimlichen Schwarm Mark flirtete. Pauline ist die Zickigste aus der ganzen Schule, aber sie ist die Begehrteste bei den Jungs. Immer wenn sie ihr blondes Haar zurückwirft und mit ihren funkelnden blauen Augen blin-kert, kriegt sie fast jeden Jungen rum. Ich bin das Gegenteil. Ich habe braune Haare und normale blaue Augen. Und kriege ich mal einen ab? Nein! Nur immer diese Miss Perfekt!
Aber zurück zur Geschichte von dem unglaublichen Ereignis: Ich war gerade auf dem Weg zu Mark, also meinem Schwarm, der mit Pauline auf dem Schulhof stand. Da passiert es. Ich sah, wie ein Mann mitten auf dem Schulhof von zwei maskierten Männern überfallen wurde. Als die Männer davonliefen, rannte ich sofort zu dem Überfallenen. Er saß auf dem Boden und war am Kopf verletzt. Ich half ihm aufzuste-hen. Dass so etwas in meiner Heimatstadt pas-siert! Das hatte ich nicht erwartet.
Nach einer Viertelstunde kam die Polizei. Da ich die Einzige war, die das Geschehen genau beobachtet hatte, musste ich mit auf das Poli-zeirevier kommen. Dort schilderte ich, was ich gesehen hatte. „Das waren bestimmt diese Türken! Denen wollte ich mein Haus nicht verkaufen. Dafür haben sie sich gerächt. Und beklaut haben sie mich auch. Typisch!“, schrie Herr Stein, der das Opfer des Überfalls war. Entsetzt guckte ich ihn an. Wie konnte er nur solche Anschuldigungen aussprechen und als erstes Türken beschuldigen! Bloß weil sie aus einem anderen Land kommen, sind sie doch keine Verbrecher! Sie sind genauso wie alle anderen Menschen. „Ich kenne das Gefühl, von Deutschen ausgeschlossen zu sein. Schließlich bin ich Amerikanerin“, dachte ich entsetzt.
Eine Woche darauf hörte ich, dass die Diebe gefasst worden waren. Es stellte sich heraus, dass es nicht türkische, sondern deutsche Jugendliche gewesen waren, die den Überfall verübt hatten. Die Jugendlichen hatten Geld gebraucht. Herr Stein musste sich für seine übereilten und falschen Anschuldigungen entschul-digen.
Zwei Tage später kam Mark zu mir. Er sagte: „Ich fand es echt toll von dir, dass du dem Mann geholfen hast. Ich würde mich gerne mal mit dir treffen. Ist das in Ordnung für dich?“ „WAS??? Mark fragte MICH, ob ich ihn treffen wollte??? KLARO!!!“, dachte ich und antworte-te, so cool ich konnte: „Gerne, können wir machen. Man sieht sich.“
Nächste Woche habe ich mein erstes richtiges Date mit Mark. Er wartet auf mich!!! Ich muss schon sagen: Essen ist wirklich eine aufregende Stadt, in der man ganz Unglaubliches erleben kann.

Karla Stockhausen ( 14 Jahre )