Katja Neuefeind - Wolken hören (Leseausschnitt aus dem ersten Kapitel)
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1. Kapitel
Fast stürzte sie die Treppe hinunter. Wenn sie es jetzt nicht
schaffen würde fortzukommen, würde sie diesem Wahnsinn niemals
entfliehen können. Wenn ihr nicht jetzt augenblicklich und schnell ein
Fluchtplan einfiele, wäre ihre Hoffnung auf Freiheit auf ewig zerstört.
Als sie Martin oben stolpern und fluchen hörte, traf sie ihre
Entscheidung, unverrückbar und endgültig. Sie rannte zur Haustür, riss
sie auf und schlug sie mit voller Wucht hin-ter sich zu, ohne nach
draußen zu treten. Leise schlich sie auf Zehenspitzen zur Treppe zurück
und versteckte sich in dem sich darunter befindlichen Zwischenraum, in
dem sie die Putzutensilien aufbewahrte. Wenn Martin, wie sie erwartete,
zur Haustür hinausrennen würde, um ihr zu folgen, könnte sie sich
unbemerkt in die Garage schleichen, sich ins Auto setzen und
fortfahren, noch bevor Martin merken würde, dass er auf einen Trick
hereingefallen war. Mit ihren Armen umfing sie sich selber, zitternd.
Kälte, eisige Kälte. Von oben dröhnte Martins Stimme, die sich in ihrem
Körper vibrierend wiederfühlte. Immer wieder fluchte er, laut und
unverständlich. Doch seine Drohung gegen sie drang in ihr Hirn, drängte
sie immer tiefer in ihre Angst. „Diese Schlampe, wenn ich die erwische,
dann wird ...“ Dass er den Satz nicht beendete, machte die Drohung noch
schlimmer, drohend offen, alle vergangenen Erlebnisse in ihrem Fühlen
versammelnd.
Eilige Schritte, die die Treppe herunterstolperten, sie tastete nach
einem Gegenstand, den sie im Notfall als Waffe benutzen konnte, aber
bis auf einen Besen und zwei Eimer fand sie nur einen Handfeger, den
sie umkrampfte. In die-sem Moment erreichte Martin den Treppenabsatz
und seine Schritte eilten zielstrebig auf die Tür zu. Beinahe hätte
Josie erleichtert aufgeatmet und sich damit in ihrem Versteck verraten.
Wenn Martin jetzt doch durch die Tür hinausgehen würde, wäre sie
gerettet. Ihre ganze Hoffnung legte sie in die von ihm erwarteten
wenigen Meter. Doch anstatt den Luftzug einer sich öffnenden Tür zu
spüren, das typische Knartschen der Scharniere zu vernehmen, hörte sie
einen Schlüssel. Langsam drehte der sich im Schloss um, Millimeter für
Millimeter, wie ihr schien. Endlose Zeit, bis das Einschnappen des
Türverschlusses ihre Niederlage vollendete. Das war ihr Todesurteil.
Angst ließ sie erstarren, Panik bemächtigte sich ihres Körpers.
„Dachtest du wirklich, ich würde auf so einen billigen Trick reinfallen, Schätzchen?“
Das Kosewort hörte sich so abfällig, verächtlich, ver-nichtend an, dass
Josie wusste, sie musste nun dringend handeln. Doch bevor sie die
Initiative ergreifen konnte, wurde sie grob von zwei Händen an den
Schultern gepackt und aus ihrem Versteck gerissen. Sein Körper drückte
sich
ekelhaft nahe an den ihren. Mit liebevoller Stimme säusel-te er ihr ins
Ohr: „Du hast mich betrogen, Schätzchen. Das kann ich nicht durchgehen
lassen. Du musst bestraft werden.“