Kim Schneider - Sie nahm mich in den Arm und drückte mich (JUgendliche melden sich zu Wort am 25.9.)

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Sie nahm mich in den Arm und drückte mich

Wie jeden Morgen wachte ich auf und machte mich fertig, um in die Schule zu gehen. Doch dieser Morgen war anders. Alles änderte sich. Neuer Morgen, neues Leben, neues Ich.
Meine Eltern waren gerade erst geschieden wor-den. Ich wollte bei meiner Mutter bleiben und meine jüngere Schwester bei meinem Vater. Je-de von uns hatte jetzt ihr eigenes Zimmer, so, wie wir es immer wollten. Doch irgendetwas war anders, und ich fragte mich, woran das liegen könnte. Klar, wir wohnten nicht mehr alle zu-sammen und mussten uns noch umstellen. Doch es war nicht nur die Umstellung. Mein Vater wohnte weiterhin in unserer alten Wohnung, meine Mutter und ich waren ein paar Häuser weitergezogen.
Nach ein paar Tagen merkte ich erst einmal, wie ungerecht alles abgelaufen war. Alles, was mei-ne Eltern früher für die gemeinsame Wohnung gekauft hatten, war von beiden finanziert wor-den. Jedoch hatte meine Mutter bei der Schei-dung weder Geld noch irgendwelche Gegen-stände für sich beansprucht. So sind wir mit unseren wenigen Sachen hier in unsere kleine Zweieinhalbraumwohnung gezogen.
Für meine Mutter und mich war es ein harter Neuanfang. Jedes Wochenende und jeden freien Tag arbeitete ich an unserer Wohnung. Ich tape-zierte jeden Raum und versuchte schöne und fröhliche Farben zu mixen. Das gelang mir ganz gut, und meine Mutter war glücklich und stolz auf mich. Plötzlich fand ich beim Auspacken un-serer Umzugskisten mehrere Briefe. Ich fragte mich, ob meine Mutter sie gelesen hatte, denn einige waren noch nicht einmal geöffnet. Also machte ich die Briefe nacheinander auf und be-kam einen Schock. Die Briefe waren von Inkasso – Diensten, Rechtsanwälten und Gerichts-vollziehern. Es war mir ganz klar: MEINE MUTTER HATTE SCHULDEN. Ich addierte die geforderten Summen aller Briefe und kam auf einen Schuldenhaufen von 6000 Euro. Ich war geschockt. Wir hatten kein Geld, um uns neue Möbel zu kaufen, und jetzt noch diese Schulden! Wie kamen wir da bloß wieder raus? Meine Mutter arbeitete ja nur als Aushilfskraft und empfing den Rest als „Hartz IV“.
Ich wusste, ich musste meiner Mutter irgendwie helfen. Ich ließ alles stehen und liegen und setz-te mich an meinen Schreibtisch. Ich berechnete alles sehr gründlich und erstellte einen Raten-plan. Diesen stellte ich meiner Mutter vor, und sie  begann aus Dankbarkeit zu weinen. Sie nahm mich in den Arm und drückte mich.
Um ein neues Leben anfangen zu können, muss-ten wir zuerst diese Schulden abbezahlen. Monat für Monat. Die Zeit war sehr hart und an-strengend. Doch unser Leben bekam einen neuen Halt durch die Hoffnung darauf, bald schuldenfrei und ohne finanzielle Probleme leben zu können. Meine Mutter und ich haben uns zusammengerissen und genau gewusst: Wenn wir das nicht packen, dann packen wir nichts! Nach anderthalb Jahren hatten wir unser Ziel erreicht.
Heute sind wir endlich dabei, unsere Wohnung einzurichten. Klar, es war sehr hart. Aber wenn man etwas erreichen will, muss man fest daran glauben und natürlich einen klaren Kopf be-halten. Meine Mutter und ich wissen genau: Ohne einander hätten wir es nie geschafft!

Kim Schneider (Pseud.; 18 Jahre)

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