Lisa Heymer - Ich bin ein Nomade (Jugendliche melden sich zu Wort am 15. November)

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Ich bin ein Nomade

Am liebsten sind mir die grünen Pfade im Revier. Ja, die gibt es. Klar, es heißt immer, der Pott sei grau.
Aber ich sage euch, es brodelt schon länger. Der Deckel hebt sich und grün quillt über. Es kocht ü-ber.
Asphalt platzt. Wurzeln sind langsam, aber beharr-lich.
Die Zeche Zollverein. Ich gehöre nicht mehr zu der Generation derer, denen die Bedeutung der Kohle eingebrannt ist. So gesehen sind die Zechen tot. Von wegen.
Stadt wird Wald. Sprach man nicht immer vom Großstadtdschungel” ?
Nun, für mich werden die Leichen der Industrie zu Geburtstätten neuer Wälder.
Und doch. Läuft man alte Eisenbahnschienen ent-lang, entdeckt zwischen den Bäumen plötzlich alte Brücken, dann sind dort Pfade im Revier, nein, ein Adergeflecht der Vergangenheit durchpulst von neuem Leben.
 Kohle war vor Urzeiten schließlich auch ein Urwald- Was liegt also in der Zukunft der neuen Urwälder des Reviers?
Für mich ist es an der Zeit, neue Wege einzuschla-gen.
Die ganz banalen Wege des Reviers sind die Schie-nen. Bahnen und Züge. Ich steige in den Zug und bin schon bald in Bochum oder Gelsenkirchen. Alle Städte hier sind fast verwachsen und gehen flie-ßend ineinander über. Diese Möglichkeit macht das Revier für mich so einzigartig. Kurze Pfade zwi-schen immer neuen Städten, und doch fühlt es sich fast wie ein Ganzes an.
Ich bin ein Nomade, immer unterwegs auf den Pfa-den durchs Revier, überall ein wenig heimisch, doch nicht fest gebunden an eine Heimatstadt. Das Re-vier ist ein Wald, grün und grau, manchmal ver-wunschen, dann verschlingend.
Ich bin ein Nachtschwärmer, eine Motte, angezogen von den Städten und kann doch nicht ohne das Grün. Tagsüber verpuppe ich mich für längere Zeit. Wird ein Schmetterling daraus?
Ich wandle mich von Tag zu Nacht, von Jahr zu Jahr, so wie das Revier.

Lisa Heymer ( 20 Jahre )

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