Reinhard Rakow: Sonnenklirren (Leseprobe 2)
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Reinhard Rakow
Sonnenklirren
Novelle
Geest-Verlag 2010
ISBN 978-3-86685-251-8
11 Euro

„Hälfte des Lebens“
Und was dann? Im Winde klirren nämlich die Fahnen.  Nichts Geringeres   wird in diesem sprachmächtigen und musikverliebten  Kurzroman  verhandelt.
Der  unerbittliche und sezierkalte Erzähler,  der  gleichwohl zu  leidenschaftlichem Wörter-Crescendo fähig ist, nimmt   sich selbst ganz  zurück und lässt eine Frauenstimme er-zählen. Vom   Himmel gefallen ist er  als ein Meister der vielfältigen Perspektivik   auf unseren Alltag. Er  drängt uns Bilder auf von buntschillernden   Fliegen auf Babywindeln und  schlechten Zähnen. Das selbstsuggestive   Fühlen ei-ner alternden jungen  Frau am Steuer, hoffnungslos verliebt in   den viel zu jungen Beifahrer,  hört sich zum Bei-spiel so an: „… wir   schwimmen gemeinsam, wir lassen  uns treiben, sitzen zusammen in einer   Nussschale und lassen uns treiben,  wir beide, allein im Ozean.“ 
Es   ist eine höchst schwierige Kunst,  die Hauptperson einer Erzählung als   unsympathisch darzustellen und  dennoch uns Leser/innen zu verführen,   uns vielfach iden-tisch mit ihr zu  empfinden. Raffiniert gelingt dies,   indem die (namenlose)  Protagonistin, eine wissenschaftlich hoch   qualifizierte, gut verdienende  Frau, von dem Gebal-ze eines   unsympathischen Manns belästigt wird. Wir  ste-hen fraglos auf ihrer   Seite. Zumal wir – wie die Hauptper-son –  ermattet sind von einem   Sommersonnenterror gegen die ganze Natur, der  zugleich die   Paarungszwänge in Todesnähe vorführt.
Dabei hat das  Liebesbegehren   der ‚Heldin’ bei einem viel jüngeren Mann keinerlei  Chancen. Sie erregt   unser Mit-leid. Sie ist liebesunfähig –, ihr Brief  an eine tote   Freundin bekräftigt dieses Manko – möchte aber gleichwohl  ein Kind:   Einsamkeitsschutz für die zweite Hälfte des Lebens. Sie  gebiert ein   Einbahnstraßenkind und zieht uns – gegen unseren festen  Willen – in   ihre Mordgelüste hinein.
Die Geschichte aus dem Alltag  einer   Bildungselite, rasant und sprachintensiv, hart zupackend und zart    poetisch erzählt, zugleich raffiniert komponiert, hebt immer wieder ab    in parabolische Sphären, wie zuletzt Albert Camus vor 50 Jahren so   etwas  gekonnt hat.
Jürgen Thöming









