Sahin Enes - Seit ich die Sprache kann (Jugendliche melden sich zu Wort)

Hördatei: 

Seit ich die Sprache kann

Auf die Welt gekommen bin ich in einem kleinen Dorf in der Türkei. Mein Vater und meine Onkel waren schon in Deutschland, um zu arbeiten, damit sie auch uns da hinbringen konnten. Sie mussten bei Null anfangen. Sie hatten kein Geld, kein Dach über dem Kopf, aber dann haben sie es doch geschafft, uns aus dem Dorf herauszuholen. Als ich in Deutschland ankam, war ich ungefähr fünf Jahre alt. Für mich war der Anfang sehr schwer. Die Kultur war anders, die Luft war anders, es war vieles unterschiedlich. Ich war sehr einsam und traurig, weil ich keine Freunde hatte und Angst, dass mich einer auf Deutsch ansprechen würde, da ich die deutsche Sprache nicht beherrschte.
Nach einem Jahr hat mich mein Vater an einer Grundschule angemeldet, damit ich dort alles lernen konnte. Mir war die Wärme der Familie sehr wichtig. Deshalb wollte ich gar nicht so oft raus, zum Beispiel in die Schule oder nach draußen gehen, um mit anderen Kindern zu spielen. Deshalb begleitete mich meine Oma überall hin. Als ich in der Schule die ersten Freunde kennen gelernt hatte, brauchte sie nicht mehr mit mir überall herum-zulaufen. Vieles kam mir auf einmal einfacher vor wie Deutsch zu sprechen oder in einen Laden zu gehen, um Süßigkeiten zu kaufen. Das verdanke ich alles meinen ersten Freunden.
Endlich konnte ich die deutsche Sprache einiger-maßen sprechen. Wenn man die Sprache eines Landes kann, kommt einem alles ganz anders vor, als wenn man sie nicht kann. Es hat alles Spaß gemacht. Ich war öfters draußen und habe gemerkt, dass die Deutschen gar nicht so sind, wie sie aussehen. Sie sind nett und höflich. Sie helfen einem sogar, wenn man Hilfe braucht. Für mich ist alles super in Deutschland, seitdem ich Deutsch kann. Und ich will gar nicht mehr zurück in mein Dorf.

Sahin Enes ( 20 Jahre )

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