Saskia-Fabienne Guerriero . Ich bin nicht allein (Jugendliche melden sich zu Wort am 6. November)

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Ich bin nicht allein

So, ich möchte mich erst mal vorstellen: Mein Name ist Marianne, und
ich bin achtzig Jahre alt. Ich habe am heutigen Tag viel nachge-dacht,
denn eigentlich habe ich schon viel mit-machen müssen. Ich habe nämlich
als Kind nie ein richtiges Zuhause gehabt. Aber um das zu verstehen,
muss ich euch erst mal meinen Le-bensweg schildern.
Ich wurde in einem kleinen Dorf geboren, dort lebten mal gerade 350
Einwohner. Zwei Jahre später schon zogen wir nach Italien um. Dort nahm
mein Vater einen Job an. Es lief anfangs recht gut, doch nach drei
Jahren machte die Firma pleite, und alle Angestellten wurden
ar-beitslos, darunter auch mein Vater. Da wir bald unsere Miete nicht
mehr bezahlen konnten, zo-gen wir wieder um. Meine Großeltern nahmen
uns in Spanien liebevoll auf. Ich ging dort mit sechs Jahren zur Schule
und lernte so die spa-nische Sprache zu sprechen und zu schreiben. Ich
hatte dort viele neue Freunde, und deshalb war es schwer, mich von
ihnen zu trennen. Denn eines Tages, als ich aus der Schule nach Hause
kam, teilten mir meine Eltern mit, dass mein Großvater an einem
Herzinfarkt gestor-ben war. Da war ich ganz schön erschrocken. Ich war
mittlerweile zehn, und wieder musste ich mich von meinen Freunden
verabschieden und das Land verlassen, diesmal zu viert. Wir nahmen
meine Großmutter mit, da sie nicht mehr alleine in ihrem Haus dort
leben wollte und konnte.
Nach der Beerdigung zogen wir nach Deutsch-land. In Köln suchten wir
uns eine Wohnung, die groß genug für uns alle war. Wenige Tage später
fanden meine Eltern wieder einen Job. Ich durfte auch wieder zur Schule
gehen und ich freundete mich mit einigen Kindern an. Trotzdem weinte
ich oft, weil ich meine alten Freunde vermisste. Doch sobald ich mit
meinen neuen Freunden zusammen war, vergaß ich diesen Schmerz.
Mit sechzehn Jahren machte ich meinen Ab-schluss an einer Realschule,
danach ging ich in die Oberstufe, um mich auf das Abitur
vorzube-reiten. Nach dem Abitur musste ich leider nach Berlin, um an
der Universität zu studieren. Also zog ich in die Nähe der Universität
und wohnte dort in einer kleinen Wohnung.
Eines Tages bekam ich einen Anruf. Meine El-tern erzählten mir, dass
nun auch meine Großmutter gestorben war. Ich beschloss, mein Studium
abzubrechen, und fuhr nach Köln zu-rück. Nach der Beerdigung blieb ich
noch einige Tage dort, doch fuhr ich danach doch noch einmal nach
Berlin, um mein Studium abzu-schließen. Auf einem Spaziergang traf ich
einen Mann, meinen Traummann. Ja, wir kamen zu-sammen und suchten uns
eine größere Woh-nung.
Nachdem wir uns selbstständig gemacht hat-ten, kauften wir uns ein Haus
in Essen. Obwohl ich es eigentlich satt hatte, immer von einem Ort zum
nächsten zu ziehen, tat ich es trotz-dem. Wir heirateten in der Alten
Kirche in Es-sen - Kray, und unsere Flitterwochen verbrach-ten wir in
Frankreich.
Zu Hause angekommen, vergingen die Jahre wie im Flug, und wir wurden
älter. So gingen wir nach all den Jahren in Rente und taten eine Menge,
um fit zu bleiben. Jetzt ist mein Mann schon zwei Jahre tot, er starb
wie mein Groß-vater an einem Herzinfarkt.
Wir haben keine Kinder, da wir zu wenig Zeit hatten, um uns um sie zu
kümmern. Wir waren trotzdem glücklich, und ich weiß, dass die Zeit mit
ihm die schönste Zeit in meinem Leben war. Ich habe auch nicht mehr
lange zu leben, und ich habe, wie gesagt, über vieles nachge-dacht. Ich
stelle mir vor, wie viele Menschen genau jetzt lachen und wie viele
sich über an-dere Menschen Sorgen machen. Wie viele ster-ben jetzt und
wie viele werden geboren? Wie vielen geht es gut und wie viele sind
verloren? Wie viele lieben sich in diesem Augenblick und wie viele sind
vor Liebe blind und schon ver-rückt? Wie viele denken, sie seien
niemand Be-stimmtes und wie viele sind enttäuscht, dass sie niemanden
für sich finden? Doch ich weiß: Ich bin nicht allein, wenn ich daran
denke. Ich bin nicht allein, wenn ich darüber spreche. Ich bin nicht
allein auf dieser großen weiten Welt. Ich bin nicht allein, auch wenn
du meinst, ich sei es.
Aber wie lange wird es dauern, bis ich auf mei-ne Fragen Antworten
sehe? Ich frage so lange, bis ich alles verstehe! Also, was ich euch
damit klar machen will, ist, dass es nicht immer leicht ist im Leben.
Aber man schafft es, wenn man an sich glaubt. Denn ihr seid nicht
allein!

Saskia-Fabienne Guerriero ( 14 Jahre )

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