Vanessa Meier - Wut, Angst und Schmerz sind geblieben (Jugendliche melden sich zu Wort am 1. März)
Hördatei:
Wut, Angst und Schmerz sind geblieben
Kannst du dich noch an deine eigenen naiven Kindheitsträume erinnern? Die Träume von einer
glänzenden
Zukunft, von einem „Prinzen", der vor deiner Tür steht und dich
mitnimmt, mit
dem du glücklich wirst bis ans Ende deiner Tage? Der Ernst des Lebens
ist weg,
weit weg.
Bis ein Arzt kommt, Mitleid heuchelt, während er dir im nächsten Atemzug mitteilt, dass du
verdammt
krank bist. Und plötzlich macht es Peng, deine Welt bricht in sich
zusammen. All
das Schöne schwindet, es bleiben nur noch Wut und Hass in dir.
Von nun an wird dein Leben durch wochenlange Krankenhausaufenthalte, Operationen,
Bestrahlungen und
Schmerzen bestimmt. Und immer wenn du denkst, du hättest es überstanden,
kommt
der nächste Schlag ins Gesicht.
Du siehst Dinge, die du nie sehen wolltest, du darfst kein Kind mehr sein, weil jeder von dir
erwartet
stark zu sein. Und dann, ganz langsam, wird dir alles und jeder egal. Du
wachst
morgens auf, denkst dir: „Klasse, noch ein verdammter Tag mehr auf
diesem
Planeten zwischen all den Heuchlern, die keine Ahnung haben."
Vom elften bis zum sechzehnten Lebensjahr war dies jeden Morgen mein erster Gedanke. Seit
einem
Jahr gelte ich offiziell als „gesund", obwohl es jeden Tag wiederkommen
könnte.
Der Hirntumor ist gegangen, aber Wut, Angst und Schmerz sind geblieben.
Sie
werden nie ganz verschwinden.
Vanessa Meier (19
Jahre)