"selbstgemacht" - Ausschreibung des Feuilletonmagazins Schreibkraft (15. November)
Autofellatio ist – obzwar in der Theorie durchaus nicht unpopulär – ein im richtigen Leben noch nicht flächendeckend verbreitetes Phänomen. Heimwerken, Gartln (im zeitgenössischen Wording: Guerilla Gardening) oder das Verschenken von selbst hergestellten Produkten hingegen haben sich auch in der alltäglichen Praxis bereits durchgesetzt. Selbst ist die Frau (wahlweise der Mann) – rund um dieses Motto haben nicht nur ganze Verlagshäuser ihr Geschäftsmodell für Ratgeberliteratur gebaut, es entstanden auch Millionen Kubikmeter Einfamilienhäuser, Tonnen an Eingekochtem, Gekeltertem oder Gebranntem und Berge an sowohl ästhetisch als auch handwerklich minderwertigen Maronifigürchen oder Kluppeneierbechern, die aus Kindergärten mit nach Hause geschleppt und diversen Erziehungsberechtigten ausgehändigt werden.
Doch wie auch immer die Qualität der Endprodukte aussehen mag – die zugrunde liegende Idee klingt durchaus sympathisch: Waren doch die Ursprünge der Do-it-yourself-Bewegung geprägt von Misstrauen gegenüber Autorität, industriell organisierter Massenproduktion und Vorgaben der Massenmedien. Eigeninitiative, Selbstermächtigung und -organisation wurden forciert – eine kritische Gegenkultur entstand: eher seltene autarke Währungssystemen in Kleinregionen, häufiger Musikkarrieren durch Homeproducing oder Eigenvertrieb bis hin zu Massenphänomenen kollektiver Intelligenz wie etwa Wikipedia.
Doch wie so häufig folgen die Trendscouts des Kapitalismus am Fuße und deuten sinnvolle und politisch oppositionelle Hervorbringungen zu ihrem jeweiligen Vorteil um. Und so stehen wir vor Geldautomaten, Ticketmaschinen und Self-Check-In-Geräten, erledigen sowohl Behördenwege als auch Bankgeschäfte „bequem“ übers Internet und sehnen uns zurück in die Zeit, als noch das Fräulein vom Amt das Wählen von Telefonnummern für uns übernahm. „Prosumption“ nennt sich gar eine Methode, die Unternehmen verwenden, um Kunden in die Produktentwicklung einzubinden. Dahinter steht die Überzeugung, dass Produkte ohnehin zweckentfremdet oder eigenständig weiterentwickelt werden. Warum also nicht auch gleich davon profitieren? Dort allerdings wo Tätigkeiten teuer am Markt angeboten werden können, hat die Einbindung des Individuums auch rasch ein Ende: Oder haben sie in letzter Zeit versucht, ihr Auto zu reparieren? Ein Ding der Unmöglichkeit (ohne entsprechende Software, die von den Konzernen aber ausschließlich an Fachwerkstätten abgegeben wird) – selbst wenn man wollte.
Vielfach aber wird gar nicht mehr gewollt. Aus der revolutionären „Do it yourself“-Idee wurde im Laufe der Zeit die schnöde „Selbstbedienung“, aus Vertretern der libertären Selbstverwirklichung, Apologeten einer neoelitären Manufaktum-Bewegung, die Massenproduktion immer noch ablehnt, nun allerdings zugunsten von maßgefertigten Designerküchen. Ist nicht vielleicht doch das „Selbstgemachte“ elitär und abgrenzend, brachte nicht erst Massenproduktion Lebensqualität für alle, und führt nicht die – zunächst gepriesene – kritische Gegenöffentlichkeit etwa der Internetblogger letztendlich zu purer und geballter Meinung, während klassische journalistische Tugenden wie Recherche oder Faktenprüfung keine Rolle mehr spielen?
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