Die fremde Nachbarin
Autor:
Die fremde Nachbarin
Hg. von Ruža Kanitz
"Es gibt Momente, in denen ich mich
in Deutschland unverstanden fühle und
mein Anderssein fast körperlich spüre."
Jadranka aus Kroatien
Interviews mit Migrantinnen
in Berlin
Geest-Verlag,
Vechta-Langförden 2006
256 S. - 10 Euro
ISBN 978-3-86685-010-1
Titelbild: Marion Hallbauer
Hg. von Ruža Kanitz
Inhalt und Intention des Buches
Das vorliegende Buch ist ein Lesebuch über die Situation von Migrantinnen. Es will über Gedanken und Gefühle informieren, die Frauen aus fast allen Teilen dieser Welt über dieses Land und ihren eigenen Migrationsprozess haben. Hier ist nicht über Migrantinnen geschrieben, hier äußern sie sich selber. Manche finden das Leben in Berlin bereichernd, andere sind noch immer nicht angekommen, einige sind enttäuscht und verbittert, andere entwickeln sich weiter und entdecken für sich ein neues Leben. Allen gemeinsam aber ist, gleich ob sie aus einem europäischen oder einem außereuropäischen Land kommen, der Wunsch nach Verständnis, Anerkennung, Gleichberechtigung und vor allem Annahme.
Das Buch wendet sich so zum einen an die deutschen Nachbarn, die die Möglichkeit erhalten, sich über 'die Fremde nebenan' zu informieren. Zum anderen stellt es aber auch eine wichtige Lektüre für andere Migrantinnen dar, gleich ob sie bereits in der Bundesrepublik beheimatet sind oder erst auf dem Weg in dieses Land sind.
Aus dem Vorwort
Jede der Frauen hatte einen Grund, sei er persönlich, wirtschaftlich oder politisch, um nach Deutschland zu kommen. Wie sie sich weiter entwickelt und die Möglichkeiten wahrgenommen haben, die es in diesem Land gibt, war nur zu oft Glücksache. Hat man einen verständnisvollen Mann oder gute Freunde ist alles leichter. Wieso jedoch bekommen meistens nur die Frauen eine gute Chance, die schon jemanden hier kennen? Wieso gibt es keine Anlaufstellen, wo jeder Migrantin, die neu kommt, ihre Pflichten und Rechte aufgezeigt werden, aber auch die ganze Palette an Möglichkeiten, die es gibt.
Gerade Migrantinnen stehen unter einem
enormen Druck. Sie müssen sich in viele Richtungen beweisen, um etwas zu erreichen. Alle meine Interviewpartnerinnen stehen unter der Last, sich selbst, aber auch dieser Gesellschaft zu zeigen, wie viel sie können. Obwohl sie vieles erreicht haben in ihren Leben, spürte ich eine gewisse Unzufriedenheit bei fast allen Interviewten.
Kann man sich nicht einfach fallen lassen und das Leben genießen so weit es geht? Muten sich vielleicht manche Migrantinnen um der Integration Willen zu viel zu und vergessen dabei sich selbst?
Wollen wir um jeden Preis versuchen Vorstellungen von Deutschen zu ändern, das Migrantinnen nicht viel anspruchsvollere Tätigkeiten ausüben können, als nur zu putzen oder von Sozialhilfe leben oder ein ganzes Leben lang Deutschkurse zu besuchen?
Mein Fehler war lange Zeit, dass ich versuchte, mich in jeder Hinsicht anzupassen und dachte so würde ich eine gesellschaftliche Integration erreichen. Ich wollte überall akzeptiert werden. Ich nahm alle Kritik persönlich und grübelte nur über mich nach. Ich habe mich an der falschen Stelle angestrengt und meine eigenen Wünsche und Bedürfnisse dabei völlig vernachlässigt. Ständig kontrollierte ich mich: Verhalte ich mich richtig, spreche ich die Wörter richtig aus. Und auch nach 20 Jahren meinte ich, mich noch immer in vielen Situationen erneut neu anpassen zu müssen. Und diese immer wiederkehrende Konfrontation mit der eigenen Identität und die daraus resultierende Verunsicherung, die Migrantinnen erleben, kann man nicht in wenigen Sätzen beschreiben.
Migrantinnen müssen lernen, dass sie die Sprache und viele andere Dinge des Alltags nicht für die Anpassung an die Deutschen lernen, sondern für sich selbst. Sich die eigene Identität bewahren und für Neues offen sein, das ist der einzig mögliche Weg. Es ist für eine Migrantin gleichgültig, wie gut oder schlecht sie Deutsch spricht, entscheidend ist, ob sie die Deutschen sie als Mensch im Privaten oder im Beruf akzeptieren. Das werden sie jedoch nur dann vollziehen, wenn Migrantinnen eine eigene Individualität ausprägen.