Finkch, Renate: Unsere französichen Jahre 1987-1996
Autor:
Finckh,Renate
Unsere französischen Jahre 1987-1996.
Vechta-Langförden, Geest-Verlag, 2006
2.- Aufllage 2007
280 S, zahlreiche Farbbilder
ISBN 978-3-86685-033-0
14, 80 Euro
Inhalt
1986 überfiel das Ehepaar Finckh der Gedanke der Veränderung. Sie, die erfolgreiche Autorin, er, der pensionierte Lehrer, Eltern von acht Kindern, beschlossen, ihr Haus in Esslingen zu vermieten und sich trotz kaum vorhandener Sprachkenntnisse ein renovierungsbedürftiges Haus im Südwesten Frankreichs, in der Gascogne, zu kaufen, das Gehöft La Humade. Bekannte, Freunde und auch die Kinder waren entsetzt, als sie das heruntergekommene Anwesen erstmals sahen. Doch nach und nach wandelte es sich unter Mithilfe aller zu einer ‘Lebensoase’, die vielen Menschen bis 1996 zu einem Besuchsziel wurde. In jährlichen Berichten schrieb die Autorin Verwandten und Freunden von ihrem neuen Alltag voller Lebensfantasie und Kreativität in Frankreich. Diese Berichte sind hier zu einem Buch zusammengefasst. Die Autorin schreibt dazu in ihrem Vorwort:
Möge von alldem auch für andere beim Lesen noch etwas durchschimmern und ein bisschen Lust wach kitzeln, für die dritte Lebensphase noch mal etwas Neues zu wagen. Warum eigentlich nicht?
Leseprobe:
Aufbruch aus dem Vertrauten: Warum?
Ja, warum, liebe Freunde?
Diese Frage hing, gesprochen oder wortlos, über der ersten Hälfte des vergangenen Jahres; seit es ruchbar wurde und bald schon sehr konkret, dass die Finckhen wirklich und wahrhaftig wegziehen wollten. Nicht etwa auf die Schwäbische Alb, ins Allgäu oder ins Hohenlohische, sondern weit fort, ins Unbekannte.
Warum? Auch wir selbst haben uns das immer wieder gefragt. Die Antwort, die ich fand, blieb schwebend, im Bereich der Vermutung, fast wieder eine Frage:
Vielleicht,
Weil wir nie
Die Fremde
Wirklich erfuhren,
Und wissen wollen,
Was Heimweg ist.
Warum aber wollten wir unbedingt „die Fremde erfahren“? Nicht nur reisen, nicht nur irgendwo zu Gast sein, sondern da wohnen?
Je drängender wir selbst uns fragten, desto bewusster wurde uns, dass es so etwas wie Heimweh war, das uns forttrieb, Sehnsucht nach wirklich eigenem Anfang. Nach Ankommen bei sich selbst.
Hätte man mich früher, als ich noch ein junges Mädchen war, gefragt, was ich mir wirklich von Herzen wünschte, so hätte ich spontan geantwortet: „Fortgehen mit einem geliebten Menschen und mit ihm zusammen eigene Heimat schaffen.“
Aber damals ist niemand gefragt worden. Es war Krieg, und Menschen wurden verschoben wie Schachfiguren.
Doch nach dem Krieg wurde er mir geschenkt, der geliebte Mensch. Wir beide zählten, weil wir nicht, wie so viele andere, unsere Heimat hatten verlassen müssen, sondern dahin hatten zurückkehren können, zu den Glückskindern der Geschichte. Die Aufbruchstimmung, die uns beherrschte, galt mehr inneren Bereichen. War es für uns nicht schon genug Aufbruch aus dem Vertrauten, den anderen zu entdecken? Wobei die großzügige Weite des schwiegerelterlichen Gartens unseren ärmlichen Anfängen Geborgenheit bot inmitten einer noch sehr zertrümmerten Welt.
Hätte man mich später, als liebende Ehefrau und glückliche Mutter, gefragt, was ich mir wirklich von Herzen wünschte, so hätte ich mit Überzeugung geantwortet: „Bleiben dürfen in jenem Garten.“ In dem Haus, in das wir mit der Zeit selbst als Familie hineingewachsen sind und das dabei immer größer wurde, weil wir es verändern und unseren Bedürfnissen anpassen durften. Hier hatte ich meinen Platz im Leben gefunden. Hier konnte Ulrich, mein Mann, wenn er müde aus der Schule kam, durchatmen und neue Kraft schöpfen. Hier konnten wir es uns beide vorstellen, zusammen alt zu werden.
Doch dann ist mit den Jahren etwas Merkwürdiges geschehen: Je erwachsener die Kinder wurden, je mehr von ihnen das Elternhaus verließen und eigene Wege suchten, desto stärker überkam uns beide das Gefühl, selbst nur noch Gäste zu sein in Haus und Garten.
Obwohl unser Horizont sich längst über den Zaun hinaus erweitert hatte und wir hineingewachsen waren ins Geflecht vielfältiger Bezüge und Verantwortungen. Obwohl gute, zuverlässige Freunde unser Leben bereicherten und ihre Nähe uns wohl tat.
Das Gastgefühl im eigenen Haus breitete sich dennoch beunruhigend aus. Es war, als ob unser Zug aus den Geleisen gesprungen wäre und sich nicht mehr draufstellen ließe, weil unmerklich Gleise oder Achsen sich verändert hatten. Vielleicht hat auch die gewandelte Umwelt etwas dazu beigetragen. Als „Entgleiste“ nahmen wir, ganz besonders aber Ulrich, die Hektik ringsum, den mörderisch angeschwollenen Autoverkehr auf den Straßen, empfindlicher wahr als in der geerbten Geborgenheit. Auch die ausufernden Städte und Dörfer, die Menschenmassen, eng beieinander und doch ängstlich gegeneinander abgeschottet: hie die Wachstumsorientierten, da die Ruhestörer um der Zukunft willen.
Ich selbst hatte mich schon viel zu sehr an dies alles gewöhnt. Mangelndes Wohlbefinden kann zur Gewohnheit werden, man kann leidlich darin wohnen, besonders wenn ein voller Terminkalender die Tage und Abende gliedert. Deshalb erschien mir Ulrichs dringender Wunsch, in der Freiheit seines baldigen Ruhestands anderswohin aufzubrechen, geradezu absurd.
Das Haus in der Sonne,
gealtert
von drängendem Leben,
ist satt
von Erinnrung.
Seit ich Ulrich kannte, hatte er mir versichert, dieses Haus in der Sonne und vor allem sein großer Garten sei für ihn der schönste Platz in Mitteleuropa. Nun wollte er fort … Es war wirklich absurd.
Doch dann hat gerade das Absurde; die zähen Wände der Gewohnheit; in mir aufgebrochen. Da war er plötzlich wieder, mein eigener alter, tief hinab gedrängter Wunsch nach Ferne …
Sollte denn nun gerade ich mich dem widersetzen, nur weil es mich schwer ankommen würde, mich aus meinen vielen beruflichen und gesellschaftlichen Verpflichtungen zu lösen?
Wog da nicht das Bedürfnis nach Auswandern eines so sesshaften Menschen, wie Ulrich es ist, viel schwerer?
Alte Freunde, die Ulrich gut kannten, brachten dies an ihm so ungewohnte Bedürfnis auf den Punkt. Brechts kleiner Erzählung eingedenk nannten sie ihn: Der unwürdige Greis.
Was mich betrifft, so hielten die Leute in unserem Dorf mich für die Antreiberin. Sie hielten mir vor, dies dürfe ich doch meinem Mann nicht auch noch zumuten … Offenbar fanden sie, diesem Manne habe seine immer rührige und seit ein paar Jahren auch noch schreibende Frau schon genug Lasten auferlegt.
Mein Verleger dagegen soll in seinen Bart gebrummelt haben: „Was bildet die sich bloß ein, ins Ausland zu ziehen! So berühmt ist die noch lange nicht!“
Hinter meinem Rücken aber hörte ich’s tuscheln: „Wie kann man einen Abiturienten (der immerhin im Internat wohnte und in nächster Nähe zwei studierende ältere Brüder wusste) alleine lassen?“
Aber es warnten auch sonst allenthalben laute und leise, ehrlich besorgte Stimmen. „Alte Bäume soll man nicht verpflanzen“, hörten wir. Und wir hörten zu.
Bis wir begriffen haben, dass wir eben keine Bäume, sondern Menschen sind, und dass die Wurzeln von Menschen anders beschaffen sind als die von Bäumen.
Gleichzeitig kam allerdings ein bisschen Trauer in uns auf: Wir dachten an die Bäumchen, die wir vielleicht irgendwo noch würden setzen wollen und von denen wir keines als alten Baum erleben könnten …
Wohl aber könnten wir unseren eigenen Wurzeln noch mal neue Nahrung geben.