Immer raus mit der Sprache

Autor: 

Kreative Schreibwerkstatt Bonn
Immer raus mit der Sprache
Herausgegeben von der Kreativen Schreibwerkstatt
Bonn unter der Leitung von
Monika J. Mannel, Poesiepädagogin.
Bilder von Gudrun Hillmann.
und Ulrike Unvehrferth
Geest-Verlag, Vechta-Langförden 2005
ISBN 3-937844-80-5
10 Euro

 

Herausgegeben von der Kreativen Schreibwerkstatt Bonn

Immer raus mit der Sprache. Erzählungen

Der vorliegende Erzählband vereint Erzählungen unterschiedlichen Charakters von nachfolgenden Mitgliedern der Kreativen Schreibwerkstatt Bonn:

 Ulla Berres Irene Fritz
Agnes Giesbrecht
Christiana Hammes
Regina Hardt
Hans- Günther Hohmann
Monika J. Mannel
Karla Schatzschneider
Dierk Schnitzler
Helene Schulz
Helga Steeg
Karin Ulrich

 

Die grafische Ausgestaltung
des Bandes erfolgte mit
Bildern von
Gudrun Hillmann
und
Ulrike Unvehrferth


Leseprobe:

Faszination der Wassertropfen

Ein blau leuchtender Springbrunnen in der Kurpromenade. Die Wassertropfen tanzten graziös im Licht der Scheinwerfer und verschwanden fallend in der Dunkelheit. Immer in einem neuen Muster, passend zur Musik, erzeugte der Wasserstrahl eine Augenweide, die das Herz erfreute.
Ich war damals 27 und allein mit meinem fünfjährigen Sohn unterwegs. Er war fasziniert vom Wassertropfentanz, klatschte begeistert in die Hände, versuchte sie zu fangen und rief laut: "Sie sind lebendig, sie tanzen!"
Es war ein warmer Abend im Süden, am Schwarzen Meer. Schwerer Blumenduft lag in der Luft, die nach dem glühend-heißen Tag am Strand gerade begann, etwas abzukühlen. Zahlreiche Touristen hatten sich neben dem berühmten Springbrunnen versammelt, auch die Gruppe, die ich betreute, aber die Gesichter sind in meinem Gedächtnis zerfallen wie Wassertropfen. Auf dem Foto mit dem singenden und tanzenden Springbrunnen sehe ich im Wassermuster nur ein Gesichtchen mit lachenden Augen, das meines begeisterten Sohnes. Ich hatte damals meine kurz davor gescheiterte Ehe vergessen, fühlte mich jung und glücklich und versuchte wie mein Sohn, die Tropfen zu fangen.
Es gibt totes und lebendiges Wasser, heißt es in Märchen. Auch diesem mineralischen Springbrunnen sagte man heilende Kräfte nach. Sein Wasser war das Leben selbst.
Ich erinnerte mich dessen und betupfte mir heimlich mit den von der leichten Brise hingewehten Tropfen die Augen. Ich hatte das Gefühl, ab jetzt bräuchte ich nie mehr eine Brille!
Nein, es passierte kein Wunder, aber einige Dinge sieht man besser mit dem Herzen, das vor Freude überschäumt, und man möchte so gerne diese Freude mit jemandem teilen. Besonders an einem warmen Abend im Süden, der schnell in eine pechschwarze Nacht übergeht ...
An diese Bilder erinnerte ich mich, als ich abends müde von der Arbeit kam, die Beleuchtung des Aquariums anknipste und den tanzenden Wasserstrahl, der von der Luftpumpe erzeugt wurde, beobachtete. Luftblasen sprudelten im Wasser und bildeten ein besonderes Muster. Leise Musik beruhigte mein Gemüt nach dem anstrengenden Tag. Ich schloss die Augen und stellte mir vor: Ich bin jung, schlank und gut gelaunt mit meinem jubelnden Sohn in einer Kurstadt am Schwarzen Meer. Das Glück ist greifbar nah - wie die Wassertropfen.