Pelster, Theodor: Kellers Weihnachten
Theodor Pelster
Kellers Weihnachten
Roman einer Familie
Geest-Verlag 2007
ISBN 978-3-86685-083-5
374 S., 14 Euro
Weihnachten, das Fest des Friedens und der Familie, birgt eine Menge Sprengstoff in sich. Hermann Keller, der Erzähler, ist zwar im „wohlverdienten Ruhestand" und Hedwig, seine Frau, ist der aufreibendsten Hausfrauenpflichten enthoben; denn ihre drei Kinder sind erwachsen, „aus dem Haus" und selbst-ständig. Sorglos könnten die Kellers ihren Beschäftigungen in Haus und Garten nachgehen, stände nicht Weihnachten vor der Tür. Doch Weihnachten ist immer noch eine Herausforderung für familiäre Logistik und ein explosives Spannungsfeld nicht ausgetragener Konflikte. Herr Keller erinnert sich und gleicht seine Erfahrungen mit denen seiner Frau ab. So entstehen sechs „Weihnachtsgeschichten" und eine Familiengeschichte, in der sich Zeitgeschichte und Kulturgeschichte spiegeln.
Hermann Keller war grade neun Jahre alt, als die Familie nach Evakuierung und Kriegsge-fangenschaft wieder zusammenkam und trickreich versuchte, etwas auf die Teller zu bekommen, hoffnungsvoll die Christmette besuchte und innere Spannungen zu über-spielen suchte. Ein weiteres Kapitel ist jenem Weihnachten 1961 gewidmet, als er als Rheinländer seine aus Schlesien stammende Braut umwarb, sich als frisch Verliebter fremd in der eigenen Heimat fühlte und nur litt. Ein richtig idyllisches Weihnachtsfest mit Vater,Mutter und erstgeborener Tochter hätte die junge Keller-Familie 1967 feiern können, wenn nicht Schwiegereltern und Eltern ihre Ansprüche angemeldet hätten und politische Kontroversen zu befürchten gewesen wären: Rückblicke auf Krieg und Vertreibung, Ausbli-cke auf einen epochalen Wahlkampf. Später, in den achtziger Jahren, als die Keller-Kinder größer wurden, nicht mehr so recht an das Christkind glaubten und ihre Fragen stellten, wurde Weihnachten zum Balanceakt. Die Balance ging verloren, als an einem soge-nannten „Heiligen Abend" offener Streit aus-brach und das Fest abrupt endete. Es dauer-te lange, bis die Wunden geschlossen waren. Manches spricht dafür, dass sich jetzt - im Jahr 2003 - die Gegensätze zu einem har-monischen Klang verbinden. Trotzdem ist Mutter Hede skeptisch.
Natürlich hat der Roman sein Fundament im wirklichen Leben. Doch wird nicht erzählt, „wie es wirklich gewesen ist". Die Personen sind literarische Figuren selbst da, wo sie lebendige Vorbilder haben. Und die Dialoge - sind erfunden und den Figuren angepasst. Nur die Orte - die Seidenstadt, die Domstadt, Landeshauptstadt und die Bundeshauptstadt - gibt es oder gab es.
Leseauszug
Jedes Jahr fängt Weihnachten früher an, und nichts ist für den Familienfrieden so gefährlich wie Weihnachten.
In der Familie Keller beginnen die Vorberei-tungen für das Fest der Feste inzwischen Ende August - noch in den Sommerferien.
„Ich habe noch kein einziges Weihnachtsgeschenk!", wirft sich Frau Keller dann vor und hofft, von ihrem Mann entlastet zu werden.
Aber der sagt nur: „Schlimm genug. Dann wird es höchste Zeit."
Er meint das ironisch; aber Ironie kommt nicht an, wenn es um Weihnachten geht. Weihnachten ist etwas Heiliges - immer noch.
Herr und Frau Keller sitzen im Garten unter einem Apfelbaum in der Spätsommersonne. Sie haben das Kaffeegeschirr, zwei Garten-stühle und ein kleines Tischchen von der Ve-randa nach hinten geholt und sich dort hinter dem Gartenteich eingerichtet.
„Wie wird es wohl dieses Mal sein?", sinniert Frau Keller heute.
„Ich denke, die schlimmsten Katastrophen haben wir hinter uns", versucht Herr Keller zu beruhigen. Er meint das durchaus ernst; aber seine Frau ist unsicher: „Wie soll ich das ver-stehen?"
„Nun", erklärt er, „wir haben nirgendwo hier in der Nähe Krieg, und keiner ist in Sicht. Unse-re Eltern sind tot; unsere Kinder sind selbst-ständig; die Verwandten sind weit weg. Von allen offiziellen Weihnachtsfeiern bleiben wir inzwischen verschont. Alle Konfliktherde sind erloschen. Was willst du mehr?"
„Ich möchte anders als letztens schon ein paar Tage vorher wissen, wer wann kommt oder auch nicht. Ich habe inzwischen etwas gegen plötzliche Überfälle und gegen Absa-gen nach dem Motto ‚Wir haben es uns doch anders überlegt'. Außerdem möchte ich etwas früher Klarheit über die so bescheidenen Wünsche unserer Lieben haben, die eigent-lich feste Bestellungen sind. Ich möchte nicht wieder wie im letzten Jahr in der letzten Wo-che von Hott nach Hü laufen und irgendwas besorgen wollen, was es dann entweder gar nicht mehr gibt oder was dann nicht so ist, wie man sich das vorgestellt hat."