Seidel, Katharina: Auszug ohne Abschied

Seidel, Katharina
Auszug ohne Abschied
Erzählungen
ISBN 3-936389-63-2
252 Seiten

10.00 Euro

 


Katharina Seidel hat sich in den vielen Jahren ihres literarischen Schaffens weit über den Landkreis Verden hinaus einen literarischen Ruf geschaffen.
Zahlreiche Veröffentlichungen und der Gewinn verschiedener literarischer Wettbewerbe zeigen dies deutlich an.
Ihr neuestes Buch, Auszug ohne Abschied, ist soeben im Geest-Verlag erschienen und stellt sicherlich einen besonderen Höhepunkt ihrer literarischen Arbeit dar.. In diesem Band sind 25 Erzählungen enthalten, die den Leser in einer ganz speziellen Weise begeistern. Fast alle Menschen ihrer Geschichten meint man zu kennen. Es sind einfach Menschen aus unserem eigenen Alltag, Beamte, ältere Menschen, brave Bürger, Selbstgerechte, Menschen, die in einer Krise zeigen, was in Ihnen steckt, aber auch die Prostituierte und der Aussteiger. Ihr jeweilig besonderes Handeln zeigt uns die Autorin aus deren Innensicht.
Gemeinhin bezeichnet man solche Erzählungen als Geschichten mit Tiefgang.
Doch zweifelsohne ist es noch wesentlich mehr. Denn die Geschichten sind für jeden Leser gedacht, freiwillig verzichtet die Autorin auf die intellektuelle Überfrachtung. Die kritische Betrachtung des Handelns baut sich vielmehr im Leser auf, ihm überläßt die Autorin die Beurteilung, keine der Erzählungen enthält einem moralischen Zeigefinger.
Jeder der Geschichten merkt man an – hier ist keine Geschichte künstlich erdacht. Jedes Geschehen ist vielmehr real nachvollziehbar, ist uns in der einen oder anderen Weise bekannt. Vielleicht haben wir sie nur noch niemals aus dieser Sichtweise gesehen.
Besonders beeindruckend sicherlich auch die Erzählung von der ‚Entmündigung der Frau Lier'. Die Erzählung zeigt uns den Weg einer selbständigen älteren Frau voller Lebensmut und Energie hin zu einer gebrochenen Frau, die ein Ende im Pflegeheim findet. Dazwischen Stationen eines Niedergangs, alle gut gemeint, die abwechselnde Betreung durch die Söhne mit ihren Familien, die scheitert. Nicht weil eine der Personen ein absichtliches Scheitern herbeiführt – bewußt vermeidet die Autorin gerade auch in dieser Geschichte jedes moralische Urteil. Unsere Gesellschaft ist vielmehr heute so gestaltet, dass dieses Scheitern geradezu vorprogrammiert ist. Jeder ahnt es, doch niemand gesteht es sich ein.
Wer also einen wirklichen Lesegenuss erleben will, der sollte sich ‚Auszug ohne Abschied' (die Titelgeschichte fängt die Emotionen einer Witwe beim Auszug ihres Sohnes ein, der sie alleine zurückläßt) unbedingt zulegen. 252 Seiten, sprachlich auf das Sorgfältigste gearbeitet, mit einem ansprechenden Farbumschlag eiines Aquarells von Gert Niethammer. Ein Buch, das auch in fast jeden Gesprächskreis gehört, denn fast jede der Erzählungen eignet sich für die Einleitung eines intensiven Gesprächs.