Spreitzer, Brigitte: Rief es nicht
Autor:
Brigitte Spreitzer
Rief es nicht
 Gedichte  
 Geest-Verlag 2007
 ISBN 978-3-86685-079-8
 10 Euro
  
 Könnt ich mich hinwenden 
 ohne Gedächtnis – 
 Entgegenhalten die Hände 
 dem Zufall 
 Im Augenblick 
 erfinden etwas wie ein 
 Lächeln 
 Ein Vogel noch frühjährig 
 ein Gurgeln aus schlammigem Grund 
 eine plötzliche Tonfolge im 
 Gerausche mich 
 anstimmen. 
 Ohne Vorstellung. 
 Offen im Staunen. 
Lachen wie die Kinder – lyrisches Schaffen als Wiederentdeckung des enthumanisierten Individuums
 
Inhaltliche und sprachliche Originalität sind rar geworden in der deutschsprachigen Lyrik, zumal wenn sie als notwendiges Korrespondent auftreten, um individuelle und gesellschaftliche Problematik zur Darstellung zu bringen.
 
Brigitte Spreitzers Gedichte sind hier eine mehr als gelungene Ausnahme. Ihre Verse gleichen einer formulierten ästhetischen Gegenwelt. „Du singst die Welt auf“ formuliert sie eigene Aufgabenstellung poetischen Erlebens. Poesie, poetisches Empfinden, das zugleich auch gesellschaftliches Empfinden ist, befreit den Menschen aus einer Erstarrung. „Die Hände ins Eis gesenkt, / willens, Kristall zu sein, gefrorene / Erde und regloser Stein, / lieg ich, / den Ruf wie Reif auf den Lippen.//“
 
Emotionalität und ästhetisch basierte Humanität wieder zurückzuführen in die und zu den Menschen – „Mein Herz ist ausgerissen Ungesattelt / galoppiert es dahin / ... / ... Zügle / es besteig / seinen dampfenden Rücken / reite es heim zu mir. /“ – als poetische Aufgabe, entwickelt bei der Autorin eine Sprachlichkeit und Bildlichkeit, die an origineller Brillanz wohl zur Zeit selten ist im deutschsprachigen Raum. Das einzelne Wort, schlicht und präzise, kombiniert sich mit anderen Wörtern zu neuen Inhalten („trunken hungernde Dursten“), rufen beim Leser Irritationen hervor und lösen sich dann, wenn er sich ihrer emotionalen Bedeutung hingibt, zu einer neuen gefühlten Inhaltlichkeit auf. „Wollen wir dem Wunder / eine Erlaubnis einholen? / Herztöne genehmigen lassen? / Engel um Passierscheine fragen? /“ Ein Prozess der ästhetischen Humanisierung des Menschen, der nicht aufhaltbar ist, nicht nach Formen und Grenzen fragt. „Lachen wie Kinder / die Gott spielen: / Feuer Wasser Erde Luft – nicht weniger / steht zu unserer Verfügung. /“
Die Findung des enthumanisierten, verloren gegangen Ichs durch ein ästhetisches Du als Aufgabe des literarischen Schaffens – welch poetische Aufgabenstellung und Leistung!
Das Buch wurde gefördert durch

 










