Waller, Hans Dierck: War ich nicht artig?

Autor: 

Waller, Hans Dierck

War ich nicht artig?

Als Kind in den Wirren eines verlorenen Krieges

Geest-Verlag: Vechta 2007

 

ISBN 978-3-86685-047-7

136 S., 11 Euro

 

Das Buch erzählt den Lebensweg des Mädchens Katharina von seinem fünften bis zu seinem fünfzehnten Lebensjahr. Unbeschwert wächst es in den letzten Jahren der Vorkriegszeit in Stettin auf, genießt die Urlaube auf dem Gut der Tante in Posen. Mit einem Mal ist alles vorbei. Das Radio mit dem magischen Auge, “das sonst auf das Kind eine Faszination ausübt, schaut jetzt gespenstisch aus der dunklen Hülle - angsterregend. Und diese schreiende Stimme: ‘Ab heute wird zurückgeschossen!’”

Es folgen schon bald die ersten Bombennächte, die Flucht aus der sowjetischen Besatzungszone nach dem Kriegsende, kurz bevor der Vater mit seiner Familie in die Sowjetunion abtransportiert wird. Doch das Leiden nimmt noch immer kein Ende. Als ungebetene Flüchtlinge aus dem Osten verschlägt es die protestantische Familie in das katholische Westfalen. Erst nach einiger Zeit der Trennung vom Vater erfolgt dann in den beginnenden Aufbruchsjahren die Ansiedlung im immer noch zerstörten Kiel.

Nur schwer kann das Kind die Geschehnisse zuordnen. Häufig bleibt in seiner einfachen christlichen Vorstellung nur noch die Frage, ob das Geschehen alles eine Strafe Gottes ist, weil es nicht artig war.

Hans Dierck Waller gelingt es mit diesem Buch wieder einmal, do-kumentarisches Geschehen in eine Erzählhandlung einzubinden und dabei die Gefühle einer Generation zu schildern, die in den Wirren des Krieges und der Nachkriegszeit aufgewachsen ist.

 

 


Vorwort des Autoren

 

Menschen, die den Krieg erlebt haben, sind jetzt in dem Alter, in dem die Erinnerung eine größere Bedeutung gewinnt. Diese sollte aber nicht ihnen als Zeitzeugen allein gehören. Der Austausch mit den Jüngeren könnte zeigen, wie schwere Schicksalsschläge, Ausgeliefertsein, verzweifelte Situationen ohne Klagen zu bestehen sind, und auch, wie diese Erlebnisse ein heranwachsendes Kind prägen.

Das vorliegende Buch schildert den Lebensweg des Mädchens Katharina von seinem fünften bis zum fünfzehnten Lebensjahr, von der Unbeschwertheit der letzten Vorkriegszeit, den Bombennächten, der aufregenden Flucht aus der russischen Besatzungszone vor dem Abtransport in die Sowjetunion und den Erfahrungen als ungebetener Flüchtling im Westen. Auch die Ausgrenzungen eines evangelischen Flüchtlingskindes in der neuen, streng katholischen Umgebung gehören dazu.

Urvertrauen in die gläubigen Eltern, unbändige Neugierde, die Fähigkeit, den Rest einer eigenen Welt unbewusst gegen alle Gefahren abschirmen zu können, ließen das junge Mädchen viele erschreckende Erlebnisse und die körperliche Erschöpfung durchstehen. So fand es auch später voller Zukunftspläne schnell den Weg in eine lebensbejahende Nachkriegsgesellschaft.

Der Erzählung liegen ein langjähriger Gedankenaustausch mit Katharina und die Lektüre der sorgfältigen Tagebuchaufzeichnungen des Vaters zugrunde.

 

 

 

Leseprobe

 

Erster September 1939 – es ist wie in den vergangenen Wochen ein herrlicher Sommertag in Stettin. Die fünfjährige Katharina schaut aus dem Fenster und träumt von Badefreuden mit ihrer Schwester Ingund und den Eltern in Heringsdorf auf der Insel Usedom. Wie oft sind sie in diesem Sommer an den Wochenenden frühmorgens mit dem Dampfer von der Hakenterrasse nach Swinemünde gefahren. In der Tragetasche die Flaschen mit Johannisbeersaft, die Aluminiumbecher, die sich zusammenschieben lassen, und die Dosen mit Kartoffelsalat und Würstchen, die eine besondere Anziehungskraft für den Strandsand haben. Und das alte Brot, mit dem man die Meute schreiender Möwen im aufgewirbelten Kielwasser des Schiffes aufeinander hetzen kann. Die gierigsten Möwen können die Brotstücke sogar in der Luft fangen.

Gern hätte Katharina auch Flügel.

Und in Heringsdorf schlagen die Wellen unter der langen Seebrücke in gleichmäßigem Rhythmus gegen die Poller, und die Krebse – Dwarslöper genannt – warten mit ihren kräftigen Scheren auf ihre Beute. Und wie sie zappeln, wenn man sie mit dem Kescher gefangen hat.

Am Strand werden Sandburgen gebaut und mit bunten Muscheln verziert. Zwischen zehn und elf Uhr fährt der Bäderdampfer vom ‚Seedienst Ostpreußen’ vorbei. Damit ist das Zeichen zum Baden gegeben. Katharina liebt diese Ausflüge ans Meer. Am blauen Himmel ziehen Wolkenschiffe vorüber und weit über der Ostsee sieht man immer wieder einzelne Windhosen, die mit ihrem langen Rüssel eine Wasserfontäne in die Luft saugen.

Abends, wenn sich im Westen die Sonne dem Horizont nähert und ihre gleißenden Strahlen auf die Wasseroberfläche schickt, geht es dann zurück.

 

Die Kinderträume fliehen im Anblick der Eltern am Kaffeetisch. Wie fröhlich ist sonst die allmorgendliche Begrüßung, wenn Katharina singend ins Zimmer springt – heute wird sie kaum wahrgenommen. Augen und Ohren

der Eltern sind von der Unheil verkündenden Stimme aus dem Radio in Anspruch genommen. Das magische Auge, das sonst auf das Kind eine Faszination ausübt, schaut jetzt gespenstisch aus der dunklen Hülle – angsterregend. Und diese schreiende Stimme: „Ab heute wird zurückgeschossen!“ Katharina spürt das Erregende der Situation, in der die Gesichter der Eltern böse Ahnungen, Ungewissheiten, Ängste auszudrücken scheinen. Sie macht zaghafte Versuche, die drückende Stille zu unterbrechen, das Unerklärliche zu ergründen.

„Vati, was heißt das: ‚Es wird ab heute zurückgeschossen’?“

„Das Radio sagt, die Polen hätten den Sender Gleiwitz überfallen und jetzt ist Krieg mit Polen.“

„Was ist Krieg?“

 

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