Beryl Bolduan liest in der Pater-Titus-Stiftung

 

Bolduans Erzählungen sind von einer bemer­kenswerten Ein­dring­lichkeit, die kaum einen Leser unberührt lassen wird. Nicht das spektakuläre Geschehen steht dabei im Mittelpunkt, viel­mehr die kleine, beinahe alltägliche Geschichte, die von jedem von uns erlebt werden kann oder erlebt worden ist. Ihr Erzählstil ist geradlinig, ohne langatmiges Verweilen. Ohne Umschweife erzählt sie den Handlungsstrang, der die besondere Frage­stel-lung beinhaltet. Das Ende bleibt manchmal offen und regt die Fan­tasie des Lesers an.
Inhaltlich finden wir es in den verschiedensten Formen immer wieder, dieses sehr unterschiedliche Lächeln, zweifelnd, fra­gend, glücklich, vertrauend, das als Symbol eines tief verwur­-zelten und auch optimistischen Humanismus gewertet werden muss und diesem Band den Titel gegeben hat.

Nachtschwärmer (Ausschnitt)

Eingehüllt in schwarzen Mantel und Schal ging sie die Straße entlang, die Hände in den Taschen. Es war dunkel und feucht, Regentropfen fielen von den teils noch belaubten Bäumen. Ein leichter Nebel lag in der Luft, der ihr nach wenigen Metern die Beine hinaufkroch, zusammen mit der Sehnsucht, die sie in diese Nacht trieb. Ihre Schritte hallten von den Häusern wider – ein untrügliches Zeichen für jeden, dass eine Frau alleine unterwegs war.
Die meisten Leute in dieser Gegend saßen gemütlich vor dem Fernseher, lasen oder schliefen schon. Hinter erleuchteten Fenstern erhaschte sie Augenblicke der Stille, Freude oder Langeweile. Manchmal wäre sie gerne stehen geblieben, hätte beobachtet, sich dazugesellt. Sie erlaubte diesen Gedanken nicht, sich auszubreiten; sie spürte einen Druck in der Magengegend.
Der grelle Lichtschein des U-Bahn Waggons ließ ihre roten Lippen und schwarzen Augen besonders leuchten. Noch mied sie die Blicke der anderen Nachtschwärmer.
Bevor sie in den Club trat, atmete sie tief durch. Dumpfe Wärme schlug ihr entgegen, Rauch hing in der Luft. Sie zahlte, gab ihren Mantel an der Garde-robe ab. Ihr enges, rotes Oberteil betonte ihre schlanke Figur. Als sie sich zu den anderen an die Tanzfläche gesellte, erwiderte sie nur flüchtig die Blicke, die ihr als Neuankömmling geschenkt wurden. Langsam fuhr sie sich durch ihre schwarzen Haare, die seidig über ihre Schultern fielen. Allmählich entspannte sie sich und verschmolz mit der Wärme, der Musik, den Leuten. Sie begann ihr Ritual.
Die meisten Frauen waren gemeinsam hier – das verschaffte ihr einen gewissen Vorteil. Andererseits fühlte sie sich schutzloser, was wiederum den Be-schützerinstinkt in einigen Männern wach kitzelte. Sie holte sich ein Bier und begann zu sondieren: Zu dick, zu alt, zu klein, zu unattraktiv. Zwei, drei waren nach ihrem Geschmack.
Da war er wieder der Druck in der Magengegend. Ein Sehnen zog sich durch ihren Körper und blieb im Herzen hängen. All die einsamen Menschen unter-wegs nach Leidenschaft und Liebe. Einige suchten nur die Leidenschaft, das hatte sie oft genug erlebt.
Die Phase des Beschnupperns, des sich Öffnens und Zurückhaltens, des Nachvornepreschens und Aus-weichens, des Erkennens und Offenbarens hätte sie gerne übersprungen. Müde war sie von den Spiel-chen, dennoch konnte sie nicht davon lassen – der Drang, die Hoffnung und die Sehnsucht waren zu groß, die Frustration noch nicht.
Gemächlich nahm sie Augenkontakt auf. Der große Dunkelhaarige mit den warmen Augen schaute freundlich zurück. Er lächelte sanft. Sie trank ihr Bier aus, brachte es zurück an die Theke. Er gesellte sich zu ihr. „Möchtest du vielleicht etwas tanzen?“, fragte er ohne süffisantes Lächeln, ohne ihr auf die Pelle zu rücken.
„Gerne.“ ...

veranstaltungsdatum: 

11. November 2012

Lesungen: 

News: