Buchpremiere Reinhard Rakow in Oldenburg /Wilhelm 13 - Percussions: Gerhard Böhm
Buchpremieren Reinhard Rakow ‚Sonnenklirren’
Mo, 2. August 2010, 20 00
Wilhelm13, Oldenburg
Percussions:
Gerhard Böhm
Eine Single-Karrierefrau vor der Lebenswende. Gescheitert bei dem Versuch, sich einem jungen Mann zuzuwenden, empfängt sie ein Kind, um der gefürchteten Vereinsamung zu entgehen. Doch das Kind, das sie zur Welt bringt, nimmt sie nicht wahr, denn es ist geistig behindert.
Reinhard Rakows „Sonnenklirren" zeichnet den Konflikt der Frau und dessen Entstehung einfühlsam, respektvoll und doch mit sezierender psychologischer Schärfe aus ihrer Sicht: ihr Bemühen, alles zu steuern, entsteht aus der Situation der Isolation heraus, vollzieht sich in ihr und mündet – wahrscheinlich, das Ende bleibt offen – wieder in ihr.
“Der Sommer, überaltert, war gegangen”: Die Bilder des Anfangs spiegeln die folgende Handlung wider und bereiten ihr zugleich das Tableau. “Es ist still”, dieser Satz, der das erste Kapitel beschließt und zum letzten überleitet, wird das zentrale Thema sein, eingebettet in einen Sog üppiger Sprache und eindringlicher Bilder.
„Der Sommer, überaltert, war gegangen. Lange Zeit hatte es den Anschein gehabt, er sei unbesiegbar, unfähig zu altern. Einem schwül verregneten Juli war ein August brütender Hitze gefolgt: ein überheißes Licht stand zitternd auf dem Asphalt zwischen den Städten; durch keinen Wind bewegt, lastete es auf den Häusern, sie auszuglühen und den Ziegeln die Farbe herauszubrennen, wie das Feuer eines Krematoriumsofens es den Zellen einer Leiche antut, gewalttätig, mit der Wucht einer Riesenfaust, die, weil der schlug, sie zurückzuziehen vergaß, nicht enden will, bis tief in die Nacht hinein, die also keine mehr war vor lauter Hitze und Licht, und selbst die Schatten, die sich in günstigen Winkeln zu halten verstanden, waren keine Schatten mehr, sondern, in nahezu unverminderter Temperatur lodernd und in gleicher Weise stumm in sich vibrierend, nichts als andersnamiges Licht."
Der Dresdner Literaturwissenschaftler Jürgen Thöming in seinem Nachwort:
„Hälfte des Lebens“, und was dann? Im Winde klirren nämlich die Fahnen. Nichts Geringeres wird in diesem sprachmächtigen und musikverliebten Kurzroman verhandelt. (...) Dabei hat das Liebesbegehren der ‚Heldin’ bei einem viel jüngeren Mann keinerlei Chancen. Sie erregt unser Mitleid. Sie ist liebesunfähig, möchte aber gleichwohl ein Kind: Einsamkeitsschutz für die zweite Hälfte des Lebens. Sie gebiert ein Einbahnstraßenkind und zieht uns – gegen unseren festen Willen – in ihre Mordgelüste hinein. Die Geschichte aus dem Alltag einer Bildungselite, rasant und sprachintensiv, hart zupackend und zart poetisch erzählt, zugleich raffiniert komponiert, hebt immer wieder ab in parabolische Sphären, wie zuletzt Albert Camus vor 50 Jahren so etwas gekonnt hat."
Reinhard Rakow
lebt in Berne/ Wesernarsch. Geboren wurde er 1952 im hessischen Gelnhausen. Er studierte Rechtswissenschaften und Psychologie in Frankfurt und Bielefeld.
Der Autor von Lyrik, Erzählungen, Essays u. a. arbeitet z. Zt. an dem Roman "Lebens-Wert". Mit Literatur, aber auch mit Malerei und Musik befasst Rakow sich zudem in Feuilletonbeiträgen und als Begründer und Organisator von Veranstaltungsreihen wie
"Edewechter Kunsttage", "Süddorfer E-Musik", "Mnemosyne" oder zuletzt den "Berner
Bücherwochen".
Gedichte und Prosatexte wurden vertont u. a. von den Komponisten Günter Berger (2003) und Violeta Dinescu (2004). Veröffentlichungen: „Malerei und Texte“, 1998 (Isensee), „lhasa es pocht scharlachrot“ (Gedichte, 2001, BoD), sowie wiederholt Beiträge in „ndl“ („Neue deutsche Literatur“, Berlin, Aufbau-Verlag) und "dO!Pen" (Dortmund), sowie in Anthologien, „dO!Pen“- Preisträger 2008.
Außerdem präsentiert Rakow seine Texte dem Publikum in Konzertlesungen, z.B. mit dem Cellisten Volkmar Stickan oder dem Percussionisten Gerhard Böhm, sowie in Lesungsreihen wie der „OHR:ZEIT“.