Heribert Rück liest aus seinem Roman "Wege und Zeichen - Eine Jugend im Sudetenland"
65 Jahre Vertreibung: Heimattreffen in der Stadthalle Staufenberg bei
Gießen am 3. September 2011
Heribert Rück liest aus seinem Roman "Wege und Zeichen - Eine Jugend
im Sudetenland". Beginn 19.30. Erwartet werden etwa 80 Teiulnehmer aus dem
gesamten Bundesgebiet.
Auskunft erteilt Roland Heger, Kirlenring 6, 35460
Staufenberg, Tel. 06406-1891. E-Mail: rohesta@t-online.de
Heribert Rück
Wege und Zeichen
Eine Jugend im Sudetenland.
Geest-Verlag: Vechta-Langförden, 2005.
ISBN 3-937844-72-4
12.50 Euro
hier gibt es eine Leseprobe vom Autor selbst
Keine regionale Geschichtsschreibung, vielmehr legt der Autor mit diesem Buch eine literarische Auseinandersetzung vor, die sich wohltuend abhebt, von vielem, was sonst zu dieser Zeit und Region angeboten wird.
Das Werk gibt Einblick in eine Zeit der Umbrüche. Als Volksschüler erlebt Robert Glasl die Tschechoslowakei der 30er Jahre, dann den Einmarsch der Deutschen, die Jahre des Kriegs und die Besetzung seiner Heimatstadt durch amerikanische Truppen. Nach dem Verlust des Elternhauses durch Enteignung kommt er in ein als Lager dienendes leerstehendes Hotel. Das Buch endet mit einer dramatischen Flucht. Obwohl Fiktion, weist der Roman viele Bezüge zum Leben des Autors auf. Mag sich auch mancherlei Einzelnes der Komposition verdanken, also fiktiv sein, so bleibt doch der naive Blick des Kindes und Jugendlichen auf das zeithistorische Umfeld authentisch.
Leseprobe:
Merkwürdige Stimmung. Man wusste nicht, was nun sein würde. Im Radio hieß es, es gebe eine Übergangsregierung, Hitler verbrannt, Goebbels mit seiner Familie im Selbstmord geendet. Ein Glück, dass man nicht in russische Hände gefallen war, aber die Tschechen, was würden die nun tun? Das eben war die Frage, und keiner konnte darauf eine Antwort geben.
Überall sah man die neuen Soldaten. Die Mutter: Kein Wunder, dass die den Krieg gewonnen haben, wie die genährt sind, seht euch ihre Hintern an! Und sie, die Buben, gingen hin zu ihnen, versuchten, ihr bisschen Englisch an den Mann zu bringen, verstanden aber nichts von dem, was die da redeten, das war wie eine ganz fremde, rätselhafte Sprache. Und sahen wieder schwarze Menschen, nun von ganz nah, und staunten sie an. Da winkte ihm, Robert, einer von ihnen, ein ganz kohlrabenschwarzer, und gab ihm ein Päckchen, auf dem stand Chewing gum, und der Bender, der bei Lore immer eine Eins gehabt hatte, sagte, Kaugummi heißt das. Der Schwarze lachte mit blitzend weißen Zähnen, die so besonders weiß aussahen in dem schwarzen Gesicht, und sagte etwas und gestikulierte, was heißen sollte: Mach es auf! Und er, Robert, öffnet das Päckchen, verteilt die flachen Dinger, behält eines, wickelt es aus dem Papier und dem Stanniol und steckt es in den Mund. Es schmeckte süß und stark nach Pfefferminz. Wenn man darauf kaute, wurde es weich, man konnte immerfort darauf kauen, es war weich und klebte nicht an den Zähnen, ein seltsames, doch auch angenehmes Gefühl.
An Schule war nicht mehr zu denken. Wo mochte der Klier sein, der kein Hitlerjugend-Führer mehr sein durfte, und der Eisenschink, der nun wohl doch das Parteiabzeichen vom Revers genom-men hatte, und Lore, die Rassenkundlerin, sie konnte an den Soldaten jetzt ihre Studien treiben. Die Schule diente als Militärkaserne, überall wurden Wohnungen requiriert für Soldaten, auch bei Georgis klopften sie an und nahmen das obere Stockwerk in Beschlag. Er habe sich seltsamerweise nicht verständigen können, erzählte der Doktor, und dabei unterrichte er doch Englisch, aber die sprächen amerikanischen Slang, das sei kein richtiges Englisch, außerdem hätte er immer die grammatischen Regeln anwenden wollen, dafür hätten die aber keine Geduld gehabt. Bei seiner Frau hingegen, die nur zwei Jahre Englisch in der Bürgerschule hatte, bei der klappte es gut, die plapperte einfach los, ohne Regeln, aber sie verständigte sich
.Dass ihn, Robert, das Englische auf einmal zu interessieren begann, hatte damit zu tun, dass da Menschen waren, die es wirklich sprachen. Gewiss, es war ein anderes Englisch als das, welches Lore sprach, wenn sie ihnen einen Text diktierte, aber Englisch doch, und er spürte einen starken Drang, diese bisher nur papierene Sprache näher kennen zu lernen. Einmal versuchte er, mit einem Soldaten ins Gespräch zu kommen, der neben seinem Panzer stand, und er sprach zu ihm den im Kopf vorformulierten Satz in bestem Lore-Englisch: How many tons has it? Der Soldat starrte ihn an, sagte What? Und als er noch einmal fragte How many tons? drehte der sich wortlos um und ließ ihn ohne Antwort stehen. Hatte er nicht verstanden oder wollte er mit diesem jungen Spion nichts zu tun haben? Der Versuch entmutigte ihn nicht, verstärkte vielmehr in ihm den Wunsch, diese Sprache zu erlernen. Aber wie? Es gab keinen, der ihn hätte unterrichten können, also musste er die Sache selbst in die Hand nehmen. Er besaß noch von der Schule her das zweisprachige Wörterbuch, das konnte ihm helfen, und eines Tages gelang es ihm, eine amerikanische Zeitschrift zu ergattern, die ein Soldat weggeworfen hatte. Die trug er nach Hause wie einen Schatz.