27.03.2024 - aktueller Autor - Anatoli Steiger
Anatoli Steiger verstarb am 4. Juni in einem Hamburger Krankenhaus. Damit tritt einer der großen Autoren der Russlanddeutschen, der mit seinem bei uns veröffentlichten Roman 'Die Fremden' ein ganz wichtiges Dokument der Umsiedlung der Deutschen aus Russland verfasst hat von der Bühne ab. Ein unersetzlicher Verlust.
Er wird am 16.06.2015 um 10:30 Uhr in Hamburg/Ninendorf, Promenadenstr.8 /Ecke Soodbör beigesetzt. Unsere Anteilnahme gilt seinen Angehörigen und dem Literaturkreis der Deutschen, die einen ihrer ganz wichtigen Autoren verliert.
Hier ein Interview von Agnes Gossen mit dem Autoren
„Ich befand mich in einer falschen Zeit“
Agnes Gossen-Giesbrecht
Interview mit dem Journalisten und Schriftsteller Anatoli Steiger
(Ferngespräche Bonn-Hamburg 2014)
Anatoli Steiger wurde 1941 in Neu-Freudental/Odessa geboren, gestorben am 4.06.2015).
1944 flüchtete die Familie über Polen nach Deutschland und wurde in Mecklenburg eingebürgert. 1946 folgte die „Repatriierung“ nach Sibirien. In seinen Jugendjahren arbeitete Steiger zuerst auf Baustellen in Nowosibirsk. 1962-1968 studierte er Journalistik an der Universität Swerdlowsk und arbeitete danach für verschiedene Zeitungen, darunter in der Perestroika-Zeit vier Jahre lang als Korrespondent der TASS.
Seit 1990 lebt Steiger in Deutschland (Hamburg). Hier kann er sich mit voller Kraft der schriftstellerischen Tätigkeit widmen. Eigene Erfahrungen sind der Stoff seiner Geschichten, Erzählungen und Romane. Was in ihm bisher schlummerte oder in den Tisch geschrieben wurde, konnte hier weiter aufgearbeitet und veröffentlicht werden. Vor allem in seinem Roman „Die Fremden“ (2000) schafft er es, Elemente der erzählerischen Tradition Russlands und Deutschlands zu verbinden und die Geschichte einer Volksgruppe zu schreiben, die auch heute in der Bundesrepublik erneut als „Fremde“ betrachtet wird. Er zeigt die wechselvolle und tragische Geschichte eines Russlanddeutschen und seines Bruders – mit der ganzen schwierigen Problematik dort und hier, wobei er die Erzählstränge eines Heute und eines Gestern geschickt und nachvollziehbar miteinander verbindet. Darauf folgten weitere Publikationen: der Roman „Das Haus am Teich“ (BMV Verlag Robert Burau 2003), der Sammelband „Tschomolungma“ (2003) und zuletzt die überarbeitete Fassung des Romans „Die Fremden“ in der Sammlung „Die Fremden und andere Erzählungen“ (Geest-Verlag 2005). Steiger ist Mitglied im Verband deutscher Schriftsteller und im Literaturkreis der Deutschen aus Russland e.V.
Lieber Anatoli, erinnerst du dich noch an deine allerersten Bücher, die du gelesen hast? Welche Rolle spielten sie in deiner Kindheit? Welche Autoren, die du in der Schulzeit für dich entdecktest, hast du gern auch später gelesen?
Ich habe erst später erfahren, was es für ein Buch und wer der Autor war, da ich es ohne Titelblatt, Anfang und Ende in einer Abstellkammer meines Freundes fand. Ich war damals 10 Jahre alt und das Buch hinterließ bei mir einen unvergesslichen Eindruck. Ich begriff, dass ich, wie der Pavel mein Schicksal in eigene Hände nehmen kann. Ich wusste noch nicht wie, recht oder schlecht, aber dass ich es kann. In seinem Roman „Mutter“ hat Gorki genial die Zukunft vorhergesehen: ein Bolschewik, der Vorbote der modernen Terroristen, sagt: „Wer nicht mit uns ist, ist gegen uns und wird deshalb vernichtet!“ Was 20 Jahre später auch passierte und bis jetzt aktuell ist. Es ist kaum bekannt, dass Gorki vor der Revolution auch eine Schmähschrift über Lenin geschrieben hatte, der über Leichen zur Macht schritt. Ein späteres Essay über Lenin war wahrscheinlich aus Selbstschutz geschrieben, wie es zum Überleben auch Majakowskij, Mandelstam und viele andere machten.
Später war ich sehr beeindruckt vom Film „Frühling in der Saretschnaja Straße“ mit dem Schauspieler Nikolaj Rybnikov und von Martin Iden, den Protagonisten des gleichnamigen Romans von Jack London. Es waren starke Persönlichkeiten, die sich selbst formten. Wären mir damals irgendwelche langweilige Bücher in die Finger geraten, wäre ich nicht so ein leidenschaftlicher Leser unserer Dorfbibliothek geworden. Leider war dort die Auswahl nicht besonders groß.
Welche Autoren oder Menschen in deiner Umgebung haben einen besonderen Einfluss auf dein Leben und Weltanschauung gehabt?
Ich war im Dorf ein Außenseiter. Alle wussten, dass man uns aus Deutschland zurück gebracht hatte als Repartierten. Ich musste mich in Schlägereien verteidigen. Dann kam ich in eine Schule in der Nähe der Eisenbahnstation. Dort war ich wieder ein Fremder, weil ich aus dem Dorf kam. Erst später in Novosibirsk fand ich Freunde. Da gab es viel freiwillig und unfreiwillig Zugereiste und es gab auch Schlägereien. Ich arbeitete auf dem Baustelle und lebte im Arbeiterwohnheim zusammen mit zwei Brüdern Sakowitsch, die ein Fernstudium machten und mich, fast mit Gewalt in die Abendschule begleitetend, in Obhut der Lehrerin gaben, welche die 9. Klasse leitete. Ich versuchte zu schwänzen bis ich den oben genannten Film sah und zwei Jahre später die Mittelschule beendete und dann schon selbst freiwillig mich für das Studium entschied.
Ich glaube nicht, dass die Schule mich zum Lesen bewegt hat. Ich wollte nur ein Dokument, dass ich sie beendet hatte. In Novosibirsk gab es so viel Interessantes für einem Jüngling aus dem Dorf, so viel Versuchungen: Boxen, Tanzen, der Fluss Ob. Ich war 16 Jahre alt, tot müde nach der Arbeit und musste noch zur Schule, wo ich oft einfach einschlief…
Als mir meine erste Liebe begegnete, begann ich Gedichte zu schreiben. Dann wurde in der Abendzeitung mein Artikel veröffentlicht. Ich hatte ich bei der Redaktion Interesse geweckt: Man schickte auf die Baustelle einen Fotojournalisten, der ein Foto mit Brigadier Lenskij, mir und meinen Freund machte, da wir eine der ersten Brigaden der kommunistischen Arbeit waren, die Chruschtschow so preiste.
Dieses Foto, mit einem Zeugnis, dass ich als „Zögling der Brigade der kommunistischen Arbeit“ ein ehrenwerter Student an der Universität sein Werde“ schickte ich mit meinen Aufnahmepapieren nach Swerdlowsk an die Abteilung für Journalistik. Es waren sehr viele Abiturienten mit demselben Wunsch, das Auswahlverfahren - sehr streng. Ich vermute, dass der Aufnahmekommission dieses Zeugnis von meiner Brigade so gefallen hat und dass ich schon 2 Jahre einen Arbeiterberuf ausgeübt hatte. In meinem zweiten Studienjahr wurde ich gefragt, warum ich noch kein Komsomolze bin. Ich war der erster Deutsche, der Journalistik studieren durfte, aber ein Jahr später kam noch einer, dann noch einer…
Während des Studiums versuchte ich alles nachzuholen, was ich früher nicht gelesen hatte. Ich arbeitete nachts als Heizer und las dabei Homer. Sophokles, um die Prüfungen zu bestehen. Später kam dazu die ganze Weltliteratur und Philosophie und natürlich die Literaturzeitschriften «Юность», «Знамя», «Новый мир» - Aksjonow, Bondrew, Kasakow… Das machte ich freiwillig, um nicht als „Hinterwäldler“ aus der Taiga unter meinen Kommilitonen, die aus besseren Schichten kamen, zu gelten. Ich wollte eigentlich Schriftsteller werden, aber für das Literaturinstitut in Moskau reichte das Geld einfach nicht.
Wann und warum hast du angefangen, Erzählungen zu schreiben und zu veröffentlichen?
Ich begann zu schreiben, um Antworten auf aktuelle Fragen zu finden, aber auch den Sinn des Lebens suchte ich wie die Jugendlichen in allen Zeiten und Ländern.
Meine erste Erzählung „Sohn“ schrieb ich während des Studiums, und er wurde in der Zeitschrift „Ural“ veröffentlicht. Aber das war nicht das, was ich wollte, weil in der Presse man sich anpassen musste. Bei den Zeitungen klappte es, bei den bekannten großen Literaturzeitschriften – nicht. Manchmal denke ich, dass meinen ersten Roman „Die Fremden“, ich mein ganzes Leben schrieb, seit meiner Kindheit.
Als man uns aus Deutschland nach Sibirien in ein russisches Dorf brachte, war ich fünf Jahre alt und mein einjähriger Bruder schrie die ganze Zeit vor Hunger. Wir konnten nicht Russisch sprechen, hatten schon einige Tage nichts gegessen und waren ganz durchgefroren unterwegs. Ein Mann im weißen Pelz trank Wasser aus einem Fass in der Ecke, wo auch ein Kalb stand, und schüttete die Wasserreste an die Wand, wo es sich sofort in Eis verwandelte. Dann gab er meinem Bruder ein Bonbon. Mein Bruder wollte Brot und keine Bonbons. Wie ich diesen Bonbon wollte, sogar jetzt! Nur gab mir keiner eins. Mein Bruder nahm ihn dann doch, weil es kein Brot gab. Ich wollte so viele Jahre darüber schreiben, ohne Angst zu haben, ohne Rücksicht, aber nur erst in Deutschland, als ich wieder einigermaßen des Deutschen mächtig wurde, wurde es möglich, über meine Generation zu schreiben.
Warum hast du nach der Übersiedlung nach Deutschland in Deutsch angefangen zu schreiben?
Da in Russisch meine Erzählungen nicht veröffentlicht wurden, begann ich in Deutschland in Deutsch zu schreiben.
Warum hast du nach den zwei großen Romanen "Die Fremden" und "Haus am Teich" wieder angefangen in Russisch zu schreiben? Ist das Internet daran "schuld" oder hat sich deine innere Einstellung wieder geändert?
Ich schreib eigentlich auch weiterhin in Russisch, aber nur Artikel und Rezensionen. Dann rief man mich aus meiner früheren Zeitung an und bat, meine Erinnerungen zu schreiben. Und ich begann mich wieder zu erinnern. Der Chefredakteur war begeistert: „Was für ein Gedächtnis, Details, Stil!“
Welche Rolle spielte der Literaturkreis für deine innere Integration in Deutschland?
Er bewahrte mich vor Depressionen, Selbstmitleid und Selbstkasteien…
Du hast als Journalist und in Deutschland als langjähriger Lektor und Redakteur der russischen Almanache des Literaturkreises viel mit fremden Texten zu tun gehabt. Kann man als Autor aus fremden Texten und Fehlern lernen oder sich inspirieren lassen?
Ich war immer lernbereit, und lernen kann man immer etwas, wie aus guten, so auch aus mittelmäßigen Texten. Ich freute mich immer, wenn jemand aus meinen Schriftstellerkollegen Erfolg hatte. Gute Texte haben mich immer inspiriert und ermutigt, weiter zu schreiben.
In nächsten Jahr feierst du dein 75. Jubiläum und wurdest für deine vielseitigen Aktivitäten mit einer Ehrenurkunde des Literaturkreises ausgezeichnet. Wie schätzt du jetzt das früher Geschriebene ein? Was hast du noch in der Schublade liegen? Was brennt noch auf den Nägeln, was du unbedingt noch schreiben willst?
Ich habe meine Trilogie, als welche der Roman „Die Fremden“ gedacht war, noch nicht fertig. Das dritte Buch ist ins Stocken geraten. Es ist fast fertig, aber gefällt mir nicht. Ich hätte auch aufgehört Romane zu schreiben, wenn ich selbst nicht schreiben würde. Am dritten Buch habe ich schon drei Jahre meines Lebens investiert und will es irgendwann doch fertig schreiben. Was Jubiläen oder auch einfach meine Geburtstage betrifft, so mochte ich sie nie. In der Jugend hatte ich viele Freunde, aber auch von denen musste ich vieles verheimlichen. Der Vater war in der Bundesrepublik nach dem Krieg geblieben. Sogar meinen richtigen Namen Adolf, den ich in Anatoli verwandelte, hasste ich, weil ich nach dem Krieg immer im Dorf deshalb gehänselt wurde. Meine Freunde wussten auch nicht von meinem Traum, nach Deutschland zu meiner Mutter und Geschwistern umzusiedeln…
Es ist kaum zu glauben, aber als ich ein einziges Mal mich überreden ließ, mein Geburtstag zu feiern und die Party in meiner Wohnung richtig im Gange war, gab es ein Erdbeben. Die Betonwände bekamen Risse, die Lüster schaukelte wie ein Uhrpendel, der Fernseher fiel um… Wir begriffen sofort, was los sei und alle, die am Tisch saßen, sich auf dem Balkon küssten oder tanzten, liefen schnell nach draußen. In Tadschikistan ist es bekannt, dass ein Haus in vierzig Sekunden auseinander fallen kann, also lief man die vier Etagen runter auf die Straße. Nach vier Stunden gingen wir alle nach Hause und versuchten einzuschlafen.
Ich war gerade eingenickt, da weckte mich ein Anruf aus Moskau, Aus der TASS, wo ich arbeitete. Man gratulierte mir zum Geburtstag und bat um Information und Bilder vom Erdbeben… Die Nachbarstadt Kajrakum war total zerstört worden. Stufe acht auf der Richterskala, eine ganze Nachtschicht in einer Teppichfabrik war ums Leben gekommen, das Nachbardorf wurde unter dem Schlamm vom Bergrutsch begraben. Bei mir taucht dabei auch jetzt sofort ein Bild von Damals auf: Am Ende des verschwundenes Dorfes ein kleines Erdhäuschen, im Hof eine Ziege, die an den Fernseherfuß angebunden war und der Rücken eines alten Mannes, der in der Richtung der aufgehenden Sonne betete. So einen Geburtstag hatte ich einmal… Deshalb mag ich keine Geburtstage.
Jetzt möchte ich dich etwas Persönliches fragen. Ist es wahr, was du nach der Ankunft in Deutschland deinen russischen Namen auf einen deutschen ausgewechselt hast?
Es ist wahr. Nur geändert hatte ich nicht den Familienname, sondern den Vorname, und nicht in Deutschland, sondern in Sibirien, als ich 1956 nach der 8. Klasse nach Novosibirsk kam. Dort habe ich alle meine Papiere, in denen der verhasste Vorname Adolf stand, vernichtet. Wenn ich vorhin in der Schule mit dem Vorname von der Lehrerin angesprochen wurde, zog sich bei mir alles zusammen – es roch nach Unglück, Bestrafung für ein Vergehen, Prügel oder in eine Zimmerecke gestellt zu werden. Manchmal war es nicht nur wegen des Namens, sondern auch verdient… Später war ich sogar zu scheu, ein Mädchen anzusprechen, weil ich meinen Namen nicht wagte auszusprechen.
In Novosibirsk zerriss ich meine Geburtstagsurkunden in Deutsch und Russisch, einen Teil warf ich in den Fluss, aber die Fetzen mit meinem Namen Adolf vergrub ich… und fühlte mich wie ein anderer Mensch und ging singend zurück. So bekam ich im Jahr 1957 neue Papiere, wo ich den Namen Anatoli Steiger angegeben hatte, und im Journalistenausweis vom Jahr 1970 steht auch – Anatoli Steiger, Pseudonym – Karimov, aber ich habe ihn selten benutzt.
Man hat ja irgendwann sowieso erfahren, dass du ein Deutscher bist, wo war denn der Unterschied?
Ein sehr großer Unterschied. Wenn ich neue Bekanntschaften schließe unter dem russischen Namen Anatoli, denkt ja keiner sofort, dass ich ein Fremder bin und wenn man sich schon angefreundet hat, dann bist du, sogar bei Frauen, ein normaler interessanter Mensch und kein Affe…
Sogar der Dekan der Universität Professor Dr. Kogan erfuhr es erst ein Jahr später, das ich ein Deutscher bin, bis dahin dachte er, dass ich ein Jude bin und hat mir geholfen bei der Aufnahme und auch später vermittelte er mir eine Arbeit über seinem Bruder, der Präsident der Wissenschaftsakademie in der Filiale der Ural-Region.
In wieweit ist dein Roman „Die Fremden“ autobiographisch? War es nicht dieselbe Angst, die sie in den ersten Kapiteln ihres Buches im Bezug auf Kellner beschreiben, die du selbst erlebt hattest?
Natürlich gibt es bei der Lebensschilderung meines Protagonisten Anatoli Kellner viele Übereinstimmungen mit meiner eigenen Biographie, die im Klappentext geschildert ist. Man kann das Buch als vollständig autobiographisch, aber auch als Gegenteil sehen. Einige Situationen sind von mir durchlebt, aber die meisten von anderen Menschen, meinen Bekannten, Verwandten usw. und ich kombinierte diese Situationen nach Lust und Laune, aber nach einem bestimmten Konzept. Ich habe dieselbe Fremdenfeindlichkeit immer wieder gespürt, auch auf eigener Haut, als ich immer wieder aufgelauert wurde von russischen Jungs und nicht wusste, wie ich meinen zweijährigen Bruder heil aus dem Kindergarten nach Hause bringen soll, weil die Mutter zu Hause krank lag.
Später habe ich nicht die Feindseligkeit, sondern Vorsicht in Bezug auf meine Person und Absage bei Bewerbungen, zum Beispiel bei der Zeitschrift „Ural“, von der ich träumte, auch immer wieder gespürt. Auch bei einem Kinostudio klappte es nicht, obwohl ich Empfehlungsschreiben von bekannten Autoren vorweisen konnte.
Es war später schon keine Angst mehr, sondern ein Hindernis, das Gefühl, dass ich nicht zu Hause in diesem Land bin und deshalb das Leben vorbei gleitet. Als ob man im fremden Film, im fremden Haus sich befindet und gerne nach Hause möchte, aber nicht weiß, wo dieses Haus ist und welcher Weg dahin führt.
Wie schwierig war dein Integrationsweg in die deutsche Kultur und Literatur, die Lebensweise des modernen Deutschlands?
Es war nicht leichter als in der Sowjetunion. Ich kam mit 50. Die Sprache hatte ich verdrängt und vergessen. Aber ich hatte keine Angst, fühlte mich zu Hause, wusste, dass man mir helfen würde. Mein Ziel war, in Deutsch schreiben zu können. Deshalb habe ich 10 Jahre nicht mehr in Russisch geschrieben und in Deutsch konnte ich noch nicht so gut.
Hast du versucht, ihre Werke in Russland zu veröffentlichen?
Der berühmte Schriftsteller Boris Putilov wollte meinen Roman für die Zeitschrift „Ural“ ins Russische übersetzen, aber schaffte es nicht. Er bat mich, es selbst zu tun, aber es wäre dann ein anderes Buch gewesen.
Meine Gedanken über dieses Problem habe ich in den Mund meines Protagonisten im meinem Buch „Dschomolungma“ gelegt: „Er lebte in einer falschen Zeit, am falschen Ort. Sein Leben strömte durch ihn, ohne ihm zu berühren, als ob er sich selbst von abseits beobachtete, distanziert und befremdend. Und trotzdem bereute er diese schnell vergehende Augenblicke und auch die noch übrig gebliebene Zeit…“