Am Boden der Kaffeetasse - Anthologie zum 5. Vechtaer Jugendliteraturpreis (Endkorrektur und Druck)



Am Boden der Kaffeetasse

Anthologie
zum 5. Vechtaer Jugendliteraturpreis

Ein Schreib- und Buchprojekt in Kooperation
der Stadt Vechta und des Geest-Verlags

Herausgegeben von
Miriam Bornewasser, Olaf Bröcker, Alfred Büngen,
Julian Hülsemann, Liesa Landwehr, Rieke Siemon, Sigune Schnabel,
Nora Tenschert und Kristina Voß

Coverbild von Eva Maria Schillinger

Geest-Verlag 2022

ISBN 978-3-86685-929-6

12,50 Euro

Der Vechtaer Jugendliteratur-Wettbewerb, gemeinsam von der Stadt Vechta und dem Geest-Verlag ausgeschrieben, hat sich in den wenigen Jahren seines Bestehens zu einem anerkannten Jugendschreibwettbewerb entwickelt. Das jeweilige Thema wird vom Verlag alljährlich aus dem Inhalt der Beiträge des Vorjahrs entwickelt und öffentlich ausgeschrieben. Angesichts der Corona-Krise, des Eintritts des Krieges in die Lebenswirklichkeit von Jugendlichen, der steigenden Bedrohung durch die Klimakrise und eines sich abzeichnenden sozialen Auseinanderdriftens der Gesell-schaft stellte sich für viele Jugendliche die Frage nach ihrer und der gesellschaftlichen Zukunft immer eindringlicher. Der Kaffeesatz, so das gewählte Bild des Wettbewerbs, verrät das Morgen, die Linien der Hand zeichnen den Lebens-weg ab, die Tarotkarte enthüllt das Schicksal. Wir Menschen suchen seit jeher Wege, den Schleier der Zukunft zu lüften und das Ungewisse greifbar zu machen. Ob man nun an Wahrsagerei glaubt oder nicht, die Frage nach dem, was noch kommt, kennt jeder.
Die eingereichten Beiträge aus der ganzen Bundesrepublik, dem europäischen Ausland und sogar aus Japan stellten sich der Frage auf einem zum Teil extrem hohen inhaltlichem und literarischem Niveau. Gibt es einen Platz in der Welt von morgen? Welche Perspektiven gibt es? Gibt es über-haupt welche?
Die Beiträge geben sehr unterschiedliche Antworten, zeigen sehr differente Perspektiven auf, immer in der Gewissheit: „Für alles, was lebt, ist die Zukunft lebensnotwendig. So gewiss, aber doch so ungewiss.“ (Amanda Wurm) Der eigentlich typische jugendliche Zukunftsoptimismus, der Glaube an eine abgesicherte Zukunft ist in viele Beiträgen infrage gestellt. „Die Zukunft ist bloß eine Sage gegen all die Ängste des Jetzt“ (Eva Wintersberger), die Zukunft ein „undefinierbarer, brauner Brei“. Doch es gibt in einigen Texten auch den Erwachsenen, die erwachsene, geisterhafte Frau, die in der Ratlosigkeit hilft. „… ich spüre, dass sie mir etwas hinterlassen hat. Den Glauben an die Zukunft. Ich weiß trotzdem nicht, wie meine Zukunft aussieht. Doch ich weiß, dass ich es herausfinden will.“ (Miriam Vierke)
Die Notwendigkeit der Suche nach einer Zukunftsperspektive wird von vielen jungen Autor*innen klar gesehen, doch bleibt zum Teil auch die Frage nach der eigenen Handlungsfähigkeit. „Und sie weiß, dass sie es nicht tun wird, und wünscht sich, nur einmal mutig zu sein und ein winzig kleines Guckloch zu bohren in die Wand ihres ausgebrühten Lebens. Und sie weiß, dass sie es nicht tun wird, denn sie hat Angst vor den Träumen und den Wünschen und der Veränderung, die da draußen auf sie warten.“ (Hannah Stehling)
Immer wieder wird in den Beiträgen deutlich, dass wir als Erwachsene, als Generation der Väter und Mütter, der Groß-eltern eine ungeheure Verantwortung haben, im Gespräch mit der jungen Generation gemeinsame Wege zu finden, ihnen die Welt nicht so zu hinterlassen, wie sie droht, von uns hinterlassen zu werden. Wir stehen in der Verantwortung, dass wir jungen Menschen zumindest helfen, einen Platz zu finden, wie ihn Magdalena Schmerbauch in ihrem Beitrag einfordert. „Manchmal kommt es mir so vor, / als gehöre ich nicht hierhin. / Und das wird immer so bleiben, / bis ich verstehen und erspüren kann, / dass ich mein Zuhause bin.“
Die Gewissheit, in sich die positive Zukunft zu finden, ist auch in anderen Beiträgen zu finden. „Aus meinem Herzen steigen Seifenblasen. Seifenblasen – die nicht platzen! Vom Wind getrieben, steigen sie höher, zwischen Wolken, getaucht in neues Licht, türkisorange. Ich schaue in den Himmel, fühle nie gefühlte Farben. Die Welt ist groß. Und sie wartet auf mich … Leben – JA!“
Zuweilen erhalten die Zukunftshoffnungen märchenhafte Züge. „Ich kenne ein Mädchen mit dem Namen Hoffnung. Ich bin fünf Jahre alt. Sie setzt sich neben mir in den Sand-kasten und weigert sich, wieder meine Seite zu verlassen. Ihre Haare sind schulterlang und golden glänzend und sie tanzen hinter ihr im Wind. Als meine Sandburg zusammenfällt, legt sie ihre Hände auf meine und schiebt sie bestimmt wieder in den traurigen Sandhaufen. ‚Wieder heil‘, babbelt sie leise, und ich glaube ihr.“ (Samuel Neumann)
Die Mitglieder der Jury hatte sich durch mehr als 250 Beiträge zu lesen. 750 Seiten Manuskripte mit unterschiedlichsten Stimmen zur Zukunft, zur aktuellen Verfassung junger Menschen. 72 Autor*innen mit 75 Beiträgen fanden den Weg ins Buch. Das bedeutet keinesfalls, dass die übrigen mehr als 150 Beiträge unwichtig gewesen wären. Keinesfalls, doch mussten wir als Verlag auch auf die Lesbarkeit der Anthologie vom Umfang her achten. Zudem gab es zum Teil thematische und auch formale Doppelungen, sodass man sich für jeweils einen Beitrag entscheiden musste.
Hinzu kam, dass in diesem Jahr erheblich mehr Prosa als Lyrik einging, Gedichte, die im Regelfall wesentlich kürzer gefasst sind, damit mehr Autor*innen Platz im Buch bietet.
Ich danke der Jury für ihre aufopferungsvolle Arbeit. Die Mitglieder der Jury und auch ich haben im hohen Maße vom Lesen der Beiträge profitiert. Das Verstehen einer Generation, die im Ungewissen, die in ungeheuren Veränderungsprozessen aufwächst, besser zu verstehen, dazu trägt dieses Buch mehr als viele soziologische Jugendanalysen bei.

Ich danke der Stadt Vechta für die gewährte Unterstützung, insbesondere auch Nora Tenschert vom Verlag für die organisatorische und lektorale Arbeit. Vor allem aber danke ich allen jungen Autor*innen für ihre Texte. Sie können als Grundlage für vielfältige Gespräche in Schule und Jugendgruppen dienen. Nicht zuletzt ist es ein Buch für Familien, in denen die Hoffnung auf eine Zukunft gesetzt werden muss.

Alfred Büngen, Verlagsleiter