andreas peters - für oskar pastior, immer

für oskar pastior, immer*

 

spaziergang in herrmannstadt. reißenfels-

gasse Nr.6. stolperstein: „in diesem haus

verbrachte der dichter seine kindheit und

jugend“. ich kippe: wo ist sein gedicht-

band? vorm haus steht ein junge mit einer

alten frau. ist es oscar, seine großmutter?

weil ich in die tasche greife, läuft der junge

auf mich zu und bettelt. ich reiche ihm den

gedichtband. er schüttelt den kopf . ich reiß

eine seite  heraus und gebe sie dem jungen.

und noch einen rotapfel als nachtisch. der

junge starrt auf das blatt papier. ich glaube

zu hören: das gedicht gibt es nicht. seine augen

geben zu verstehen: ich kann nicht lesen. ich

sage: es gibt immer nur dies gedicht das dich

gerade liest. er sagte: ich war 1x in salzburg,

austria. es war jänner. du gabs mir 1 euro.

das war 1 gedicht. zählen kann ich. ich

sagte: es gibt immer nur dieses gedicht das

dich gerade liest. seine stirn fragte: kann

auch das gedicht das ich nicht lesen kann

mich lesen, und es dies gedicht hier nur immer

nicht geben? ich sagte: beide du und du lesen

das und dies. duze beide. denn sie lesen dich

auch wenn es dich nicht nur hier gibt, sondern

auch in salzburg, rom und anderswo auf der

welt. der romajunge wickelte den apfel in die

gedichtseite und reichte den inhalt der alten

dame auf der anderen straßenseite. die dabei

war den namen aufm stolperstein zu entziffern.

 

*in kursiv: wortlaut des gedichts von oskar pastior