Artur Nickel referiert über die eigenständige Entwicklung einer Kinder- und Jugendliteratur im Ruhrgebiet
Artur Nickel ist mit dabei auf dem Kongress 'Literaturwunder Ruhr'
und hält dort ein Referat über die eigenständige Entwicklung der
Literatur von Kinder- und Jugendlichen im Ruhrgebiet halten. Dies ist
ein sehr wichtiger Schritt, denn erstmals wird damit im
wissenschaftlichen Bereich zur Kenntnis genommen, dass es eine solch
eigenständige Entwicklung gibt.
„Literaturwunder Ruhr“
Kongress im Haus der Geschichte, Bochum, Clemensstraße 17-18 vom 29. bis 31. Oktober 2009
Veranstalter:
Stiftung Bibliothek des Ruhrgebiets (Prof. Dr. K. Tenfelde)
Fritz-Hüser-Institut für Literatur und Kultur der Arbeitswelt Dortmund (H. Palm)
Ruhr-Universität Bochum, Germanistisches Institut
Literarische Gesellschaft Bochum (Prof. Dr. G. Rupp)
Parallel
zum industriellen und wirtschaftlichen Strukturwandel haben sich im
Ruhrgebiet in den letzten Jahren und Jahrzehnten ein kultureller und
ein literarischer Strukturwandel vollzogen. Der hier geglückte
sozio-ökomische Strukturwandel ist im Vergleich zu den Problemen in
ähnlichen Industriestandorten wie Oberschlesien oder Mittelengland
höchst bemerkenswert. Das Aufkommen einer neuen Ruhrgebietsliteratur
aber ist – ein Literaturwunder.
Dieses Literaturwunder zeigt
sich spätestens seit den 80er Jahren in einer prosperierenden Kultur-
und Literaturentwicklung. Werke von Link, Lodemann, Rothmann,
Seligmann. Streletz und vielen anderen bilden eine neue Qualität von
Regionalliteratur heraus, die nicht nur affirmatorisch den Bezug auf
die eigene Herkunft betont, sondern durch distanzierende Verfahren der
Beobachtung und der Spiegelung anreichert. Dabei richten die
Autor/innen den Blick nicht nur auf die Gegenwart, sondern verarbeiten
immer wieder von ihrem gegenwärtigen Blickwinkel aus die Vergangenheit
mit, und sie schauen nicht nur auf das Ruhrgebiet selbst, sondern sie
sehen es vorzugsweise im übergeordneten europäischen Rahmen. Diese
‚Gegenbeobachtung’ verdankt sich u. a. dem Umstand, dass das Ruhrgebiet
spätestens seit der Mitte des 19. Jahrhunderts selbst Ergebnis einer
(geglückten) kulturellen Durchmischung ist.
D.h. dass gerade
hier aufgrund des hohen Migrant/innen-Anteils sich die Orientierung in
europäischen und globalen Zusammenhängen bewegt.
Im Vorfeld der
Kulturhauptstadt 2010 und in Rückbesinnung auf Bochum als Stadt des
Wortes ist es ein aussichtsreiches Vorhaben, neue und neueste
literarische Texte als Anzeichen des florierenden Kulturraums Ruhr zu
untersuchen. In dieser Perspektive sind mit den literarischen Texten
die anderen Künste wie Musik, Film und auch bildende Kunst mit
angesprochen. In der Durchmischung von E- und U-Kultur prägen die
literarischen Texte neue Gattungen und Typologien aus.
Zugestanden:
parallel laufende sozio-ökomische und kulturelle Umbrüche gibt es auch
in anderen Regionen: z. B. im benachbarten Rheinland oder in den
metropolartigen Ballungsräumen Berlin, München oder Hamburg. Und auch
eine besonders hervorstechende Regionalliteratur gibt es allerorten in
Deutschland heute. Trotzdem hat die Metropole Ruhr Besonderheiten, die
in ihrer Summe ein unverwechselbares Profil ergeben.
Für diesen
Prozess gibt die sog. Industriekultur das Muster vor: die
Umfunktionierung der Industriezechen zu Kulturzentren. In ähnlicher
Weise werden Texte, Muster und Gattungen umfunktionalisiert. Realisiert
wird ein (intelligenter) Eklektizismus, der die Kulturmischung mit
einschließt.
Genau dieser Prozess steht im Zentrum des Kongresses
„Literaturwunder Ruhr“. Die jüngere und aktuellste Literatur wird
darauf hin untersucht, welche (neuen) Formen, Strukturen und Muster
entstehen, welche Träger- und Verbreitungsmedien genutzt werden, welche
Funktionen bestärkt, welche verändert und welche neu geschaffen werden
und welches Bild des Ruhrgebiets schließlich durch die literarischen
Texte transportiert und in der Rezeption aufgenommen wird.