Bericht über eine Lesung mit Jana Jürß an der Edith-Stein-Schule in Erfurt

Zeiten, die hoffentlich niemand mehr will

Edith-Stein-Schule erinnerte mit Autorin Jana Jürß an die DDR-Wirklichkeit

 

aus: Tag des Herrn

 http://www.tag-des-herrn.de/front_content.php?client=8&lang=9&idcat=2653&idart=13183

Erfurt.
Das zehnte Herbst-Lese- Fest der Edith-Stein-Schule Erfurt hat das
Leben in der DDR in den Blick genommen. Lehrer der Einrichtung
erzählten von ihren persönlichen Erfahrungen und Jana Jürß las zu alten
Kampfliedern neue Texte aus ihren Büchern.

 Am
60. Jahrestag der Gründung der DDR deren Nationalhymne und zahlreiche
Kampflieder abzuspielen, passte zweifellos zur Lebenswirklichkeit des
längst vergangenen „Arbeiter- und Bauernstaates“. Allerdings wollte das
Herbst-Lese-Fest nicht die DDR hochleben lassen, sondern an einen Staat
erinnern, „den wir hoffentlich alle nicht mehr erleben wollen“, sagte
die Schriftstellerin Jana Jürß.

 Zunächst erinnerten sich einige
Lehrer des katholischen Gymnasiums an ihr Leben, ihre Kindheit und
Jugend in der DDR. Befragt und auf Video aufgezeichnet von Schülern der
Klasse 8a erzählte Katharina Krusche von „Kartoffelschlachten im
Kartoffelernteeinsatz“. Antje Hock klagte über die permanente
Ausweispflicht, da sie in Sichtweite der Grenzanlagen aufgewachsen war
und nicht mal einfach Schulfreunde zu sich einladen konnte: „Freiheit
ist für mich deshalb ein hohes Gut geworden“, sagte die Musiklehrerin
im Videobeitrag.

 Sportlehrer Michael Scheuring erinnerte sich
an seine Armeezeit, als er auch außerhalb der Kaserne die Uniform
tragen musste: „In der Kirche musterte mich der Pfarrer von oben bis
unten. Erst als ich sagte, es sei schon in Ordnung, gab er mir zögernd
die Hostie in die Hand“, so Scheuring. Der heutige Geschichtslehrer
Frank Fritsch erzählte schließlich von seinen Erfahrungen in der
katholischen Pfarrjugend und wie er in Kontakt mit der Friedensbewegung
kam. Ihre Losung „Schwerter zu Pflugscharen“ (Micha 4, 3) sei ihm bis
heute wichtig.

 Dagegen erzählte die Autorin Jana Jürß nichts
aus ihrem Leben in der DDR. Und doch konnten die etwa 200 Gäste in der
rappelvollen Aula der Edith-Stein-Schule etwas aus ihren fast 20
erlebten Sozialismusjahren erfahren. Denn die 1970 in Neustrelitz
geborene und 1989 nach Westdeutschland geflohene Jana Jürß sprach in
ihren Büchern teilweise über sich.

 Eingeleitet von Hanns
Eislers Nationalhymne las die Schriftstellerin abwechselnd Episoden aus
ihren 2007 erschienenen Büchern „DDR – durch Menschen gelebt“ und
„Abschied einer Illusion“ vor.

 Passend zur schulischen Umgebung
hatte die Lesung zeitweise den Charakter einer Geschichtsstunde, wobei
die Verbindung der subjektiv empfundenen Lebenswirklichkeit mit der
Schilderung von konkreten Sachverhalten in der DDR zum literarischen
Konzept der Autorin gehört. Jahreszahlen, Hintergründe und Details zum
Beispiel von der Staatssicherheit, der Pionierorganisation oder der
Hinrichtungspraxis in der DDR zunächst durch das Fallbeil und später
durch Kopfschuss von hinten – all das breitete Jana Jürß in den Texten
des Buches „DDR – durch Menschen gelebt“ aus.

 „Ich fand das
sehr interessant, was die Staatssicherheit alles gemacht hat“, sagte
die Schülerin Katharina Schütz nach der Lesung und kaufte sich ein Buch
der Autorin. „Mich haben die Schilderungen der Lehrer sehr
beeindruckt“, sagte Sabine Schneider von der Elternschaft, die das
Herbst-Lese- Fest organisiert hatte. „Im Schulalltag bleibt sonst wenig
Zeit für eigene Erlebnisse“, bedauert die aus den alten Bundesländern
stammende Frau. Dabei seien es gerade die persönlichen Erfahrungen, die
den jüngeren oder erst nach dem Mauerfall zugezogenen Menschen einen
Eindruck von der DDR-Wirklichkeit geben können. „Dafür müssen wir das
Interesse wecken“, so Schneider.

 Von Uwe Naumann