Bernhard H. F. Taureck schreibt Beobachtungen zum geplanten Gedichtband von JACEK T. ZIELINSKI - MEIN ZAHIR

DER VORSPRUNG IM HUMOR DER METAPHERN
BEOBACHTUNGEN ZUM DEMNÄCHST ERSCHEINENBDEN GEDICHTBAND VON

JACEK T. ZIELINSKI MEIN ZAHIR

I
Mein Zahir: Das ergibt einen Anklang an den Roman O Zahir des brasilianischen Autors Paulo Coelho von 2005. Gegenstand: Unbestimmt und alle Aufmerksamkeit ansaugend:
Ich finde im Aufbruch nicht zur Reue
und kehre zur Stille
meines Wahnsinns
zurück (Die Suche)
Coelho notiert Ende April 2010 in seinem Blog: «Die Seele ist indes so groß wie das Universum und vermag alles zu verstehen, was die Liebe uns lehrt» (A alma, entretanto, è tão grande como o universo, e pode entender tudo que o amor nos ensina.) Welche Seele? Wessen Seele? Wenn Coelho mystizistisch-prophetisch bleibt, so gewinnen die Gedichte von Jacek T. Zielinski einen derzeit ungewöhnlichen Vorsprung. Er liegt im Humor der Metaphern:
Mein Praktikum als Prophet ist längst beendet (Das wilde Gedicht)
Oder:
Fremde Stadt knurrt mich an (ohne Titel: ***)
Unser Autor schreibt daher nicht mit einer Lizenz von Coelho.
Was also schreibt er? Sich.
Es überwiegen Ich-Gedichte. Im letzten Drittel seiner Sammlung indes erscheinen auch Wir-, Du-, Er/Sie-Poemata.
Wer oder was ist das Ich, wer oder was die Personen? Gibt Lyrik das Ego des Autors preis? Unfug. Der Personenbezug ist durch und durch Rollenspiel, das Ich bleibt überall ein Anderer, Rimbauds «JE est un autre» wird eine selbstverständliche Treue gehalten. Fast programmatisch setzt das Gedicht Visionen das Spiel des Rollen-Ego ein:
Ich bin ein arroganter Nachkomme der Schamanen
ein Aristokrat der die Zukunft voraussagt
eine Zigeunerin bin ich mit Blumen im Haar
ich bin ein Bär und der Fuchs mit der abgeschlagenen Pfote
Erstaunlich, dass die Bilder nirgendwo matt und platt werden. Wagt sich die Rede vor bis zur Synästhesie
Ich kann überflutete Sterne hören (Die Ruhe),
so driftet das Sprechen nicht in sie ab, sondern gleitet zurück in die Musik der Bilder:
Ich kann überflutete Sterne hören
Auf den Feldern des Meeres.

Der ZAHIR, das dürfte ein versteckter, nicht zu entschlüsselnder Algorithmus sein des Paradoxen, welcher sich in das Verschwinden oder das Schweigen hinein fortsetzt:
Ich schließe die Augen
und mich gibt es nicht mehr  (Die Ruhe)
Oder :
In dem Augenblick
können Seelen schlecht weinen
sie wohnen lediglich
in... (Kälte)
Eine Art Schlüsselsatz für das Selbstverhältnis des Ego Lyricum bietet folgender paradoxer Bedingungssatz:
Entfern ich mich, komm ich auch näher. (Das Einschlafen)

II
Die Gedichte von MEIN ZAHIR lagen teilweise bereits in polnischer Sprache als BALET NOSOROŹCA (BALLETT DES NASH0RNS) vor. Der Autor hat sie selbst ins Deutsche übertragen. Was jedoch heißt «übertragen»? Wir wissen es nicht. Wir wissen es so wenig, wie wir verstehen, was es heißt, ein Gedicht zu erfinden. Sagen wir daher genauer: Der Autor hat seine Gedichte noch einmal geschaffen. So jedenfalls sieht er es erstaunt selbst.
Wie steht es um die polnische Identität unseres Autors? Ist er nicht zu sehr Erd- und Weltbürger, um diese Frage beantwortet zu haben, noch bevor sie sich stellt:
Was bedeutet heute für mich Polen,
wenn ich schon nicht mehr auf polnisch denke?
[...]
Ich bin hier nicht alleine. (Ramadan)
Es scheint mir daher beleidigend, wenn man bemerkte: Weil er aus Polen stammt, deshalb schreibt er so und so. Vielmehr müsste es heißen: Weil er so und so schreibt, deshalb darf man Bezüge herstellen zur metaphorischen Intensität der polnischen Tradition eines Rafał Wojaczek, Tadeusz Nowak, Zbigniew Herbert oder Edward Stachura. Doch diese Autoren sind, wie einst Chopin, Teile der «common cultural heritage of mankind», sie gehören nicht Polen, nicht Deutschland allein. So auch MEIN ZAHIR.
Bernhard H. F. Taureck