Carmen Jaud - gabe der engel (Sonett am Donnerstag, 13.4.)

gabe der engel

nichts von mir. ist es wahr, dass ich bin, was ich bin
und nicht was ich gewesen bin. es gibt doch augen.
zeugen von geschichten aus einem anderen leben,
das mir nachruft wie das gurren der frühlingstauben

in der spur lauer sonnentage, die den löwen
die zähne weg pusten. bis wir uns selbst wünschen
zu fliegen ins abendblau, jene farbe, deren ton
wir bereits vor der geburt kannten wie alles schon

aufgeschrieben und erzählt war. ich wünsche mir
die gabe der engel zu schlafen im flug. ihr gesang
nistet in den klüften meines kummers. mir wird bang

vor dem stelldichein mit wiesenblum und schatten
wind. wie ist dies alles hier so köstlich eingeschneit.
der atem der laternen hüllt mich wie ein letztes kleid.